Wie Tom Buhrow die eigene Mitarbeiterin erst dem rassistischen Mob vorwarf und sie feuerte, als sie sich dagegen wehrte · Wie der Europarat eine Kampagne gegen Islamfeindlichkeit wegen Islamfeindlichkeit beendete · Wie Dessauer Polizisten einen Mann verbrannten und 17 Jahre später immer noch im Dienst sind · Wie sicher Deutschland ist ·
Fast acht Wochen läuft nun schon die Debatte über, gegen und manchmal auch mit Nemi El-Hassan. Jene Journalistin, die jahrelang tadellose Arbeit für öffentlich-rechtliche Medien leistete, bis irgendein rechter Youtuber ein paar alte Fotos und Videoschnipsel rauskramte, die BILD daraus eine „Islamismus“-Kampagne strickte und der WDR seine eigene Mitarbeiterin schließlich dem rassistischen Mob zum Fraß vorwarf.
Aber auch zwei Monate nach Beginn der Kampagne lässt sich immer noch Neues lernen: diese Woche zum Beispiel über antimuslimischen Rassismus und toxische Führungskultur beim WDR.
Wie Tom Buhrow die eigene Mitarbeiterin erst dem rassistischen Mob vorwarf und sie feuerte, als sie sich dagegen wehrte
Mit einem Versuch, die eigene Machtlosigkeit in einer seit zwei Monaten andauernden Debatte zu überwinden, meldete sich Anfang vergangener Woche (2.11.) zunächst Nemi El-Hassan selbst zu Wort. In einem Beitrag für die Berliner Zeitung schrieb sie über die Eigenarten der deutschen Antisemitismus- und Nahostdebatte, die BILD-Kampagne gegen sie und über ihr Gefühl der Ohnmacht angesichts alldessen. Auch ihr Noch-Arbeitgeber bekam was ab:
Der WDR hat sich – in der Hoffnung, sich selbst aus der Schusslinie zu ziehen – allen Argumenten der Bild-Zeitung angeschlossen und somit auch zukünftigen Kampagnen Tür und Tor geöffnet.
Auf den Versuch der Selbstermächtigung reagierte WDR-Chef Tom Buhrow, wie Gutsherren eben auf Selbstermächtigungsversuche reagieren: Er schmiss El-Hassan endgültig raus. Wohlgemerkt: Nicht wegen irgendwelchen Likes oder Demo-Teilnahmen, sondern da nun das „Vertrauen nicht mehr vorhanden“ sei.
Kritik lässt man sich beim WDR schließlich nur von BILD-Redakteuren und rechten Internet-Trollen, nicht aber von verdienten Mitarbeiterinnen gefallen – zumindest nicht, wenn sie Musliminnen sind oder palästinensische Wurzeln haben.
Wie der WDR seinen eigenen Rassismus offenbarte
Wer nun denkt, dass das Extremismus-Problem des WDR in Wahrheit in der Chefetage des Senders angesiedelt sein könnte, hat recht. Ebenfalls in der Berliner Zeitung berichtete Stefan Buchen diese Woche mit welchen Fragen „mehrere leitende Mitarbeiter“ dem Islamismus und Antisemitismus El-Hassans auf die Spur kommen wollten:
Zu den Fragen zählte etwa, ob sie bete – und wenn ja, wie oft am Tag. Oder ob sie während des Ramadans faste. In welche Moscheen sie gehe. Ob sie an Gott glaube. Wie sie ihr Gottesverständnis beschreiben würde.
Ob der WDR wirklich eine Islamistin beschäftigt hat, ist nach wie vor mehr als zweifelhaft. Dass er antimuslimische Rassisten beschäftigt, scheint hingegen sehr wahrscheinlich.
Auch besorgniserregend: Zu größerer medialer Aufmerksamkeit führte das Verhör, das auch Fragen über El-Hassans Verwandtschaft umfasste, nicht. Weder titelte die BILD über “Stasi-Methoden beim WDR”, noch beklagte der DJV “erschreckende Einschüchterungsversuche und einen Anschlag und Presse- und Meinungsfreiheit”. Auch auf den Soli-Brief der WDR-Belegschaft gegen die toxische Führungskultur im eigenen Haus wartet man bisher vergebens. Dieser ZEIT-Kommentar von Judith Liere ist bisher das Einzige, was die deutschen Medienwelt an Empörung zum Fall hervorgebracht hat.
Wie der Europarat eine Kampagne gegen Islamfeindlichkeit startete und wegen Islamfeindlichkeit wieder beendete
Einknicken vor dem rassistischen Mob kennt man auch beim Europarat. Der wollte vergangene Woche mit einer Social-Media-Kampagne auf „Hass und Hetze“ gegenüber kopftuchtragenden Musliminnen aufmerksam machen. Die Folge: Hass und Hezte gegen kopftuchtragende Musliminnen.
Vor allem in Frankreich zeigte man sich vom Motiv entsetzt. Die rechtspopulistische Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen nannte die Kampagne „skandalös und unanständig“. Die französische Regierung übermittelte dem Europarat ihre „extrem große Missbilligung“. Der Europarat machte schließlich den Buhrow und cancelte die eigene Kampagne.
Wie Dessauer Polizisten einen Mann verbrannten und 17 Jahre immer noch im Dienst sind
Frauen mit Tuch auf dem Kopf hätten auch im Polizeidienst von Sachsen Anhalts mit der Entlassung zurechnen. Anders verhält es sich bei Rassisten, die einen wehrlosen Mann halbtot prügeln, mit Benzin übergießen und schließlich lebendig verbrennen. Dass sich der Tod Oury Jallohs so in etwa zugetragen haben muss, ist das Ergebnis eines neuen Gutachtens. Mal wieder, muss man sagen. Denn die Indizienlage ist in dem Fall schon seit Jahren erdrückend.
Wer wissen will, wen die Dessauer Polizisten sonst noch auf dem Gewissen haben und warum das ganze Ausmaß von Verprügeln, Verbrennen, Vertuschen und Versagen weit über die Dessauer Polizeiwache hinausreicht, sollte die großartige und zutiefst ernüchternde fünfteilige Podcast-Serie„ Oury Jalloh und die Toten des Polizeireviers Dessau“ von Margot Overath hören.
Wie sicher Deutschland ist
Zum Abschluss noch eine Meldung aus der Reihe „Es war nicht alles schlecht im Abendland“. Auch wenn BILD, AfD und Co etwas anderes weismachen wollen: Deutschland wird immer sicherer. Das zeigen aktuelle Zahlen des Bundeskriminalamts. Am vergangenen Freitag (5.11.) stellte das BKA seinen „Periodischen Sicherheitsbericht“ vor. Demzufolge ist die Kriminalität in Deutschland von 2005 bis 2019 um 15 Prozent gesunken.
Vor allem Eigentums- und Vermögensdelikte gingen zurück. Aber auch bei schwerer Gewaltkriminalität seien die Zahlen gesunken. Stark zugenommen habe allerdings rechtsmotivierte Hasskriminalität im Internet – und da sind BILD-Kampagnen noch gar nicht mit einberechnet.
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