Es ist Weihnachten. Zeit um alles politische Unheil und den Stress des Alltages zu vergessen und gemeinsam auf der Kirchenbank vor sich hin zu dösen (oder eben vor dem Livestream). Ob man den nahöstlichen Prediger, dessen Puppenabbild da vorn im Stroh liegt, persönlich für den Heiland oder ein Hirngespinst hält, ist dabei ebenso egal, wie die kollektive Gewissheit, dass es ganz so, wie die Kinder zwischen Ochsen und Engeln vortragen, nicht gewesen sein kann. Was zählt ist das Gemeinschaftserlebnis „Besinnlichkeit“.
Was am Heiligabend in der Kirche meist weniger interessiert: Woher stammt eigentlich diese Geschichte, die die Kraft hat selbst 2000 Jahre nach ihrer Entstehung, wildfremde Menschen zu vereinen? Bibel, klar.
Wer sich aber auf die Suche nach den genauen Ursprüngen der Weihnachtsgeschichte macht, landet zunächst weder im Evangelium, noch in einem Bethlehmer Stall, sondern im heutigen Syrien.
Circa im Jahr 90 nach Christus, also rund 60 Jahre nach Jesu Tod, lebte dort ein Religionslehrer mit seiner kleinen judenchristlichen Gemeinde: der Evangelist Matthäus.
Judenchristen nennt man Gläubige, die zwar an den neuen Messias glaubten, anders als sogenannte Heidenchristen aber auch den alten jüdischen Geboten verpflichtet blieben. Und genau an diesem Spagat aus jüdischer Tradition und neuem Jesus-Glauben versuchte sich auch Matthäus, als er seiner Gemeinde von der Geburt des neuen Erlösers berichtete.
Das Problem daran: Über Geburt und Kindheit dieses Jesus wusste man fast gar nichts. Die damalige Hauptquelle für dessen Biographie, das schon seit rund 20 Jahren im Umlauf existente Markusevangelium, schwieg sich über Jesu erste Lebensjahre völlig aus.
Jungfrauengeburten waren für das damalige Publikum nichts ungewöhnliches
Matthäus ließ seine Erzählung mit jenem Wunder beginnen, das auch noch jedem Besucher heutiger Krippenspiele geläufig sein dürfte:
Mit der Geburt Jesu Christi war es so: Maria, seine Mutter, war mit Josef verlobt; noch bevor sie zusammengekommen waren, zeigte sich, dass sie ein Kind erwartete – durch das Wirken des Heiligen Geistes.
Warum es ausgerechnet die fantastische Geschichte einer Jungfrauengeburt sein musste, ist leicht erklärt: Matthäus wollte zeigen, dass das Erscheinen Jesu keinen Bruch mit dem Alten Testament darstellte, sondern im Gegenteil sich zwangsläufig aus den alten Überlieferungen ergab. Und dort hatte der Prophet Jesaja nun einmal angekündigt, dass der Messias von einer Jungfrau geboren werde.
Für das damalige Publikum dürfte die Story weit weniger unrealistisch geklungen haben als für heutige skeptische Ohren. Die sogenannte Theogamie kannte man schon aus ägyptischen Überlieferungen. Dort schwängerte der Wind- und Fruchtbarkeitsgott Amun die jungfräuliche Königsgattin. In der griechischen Antike wurde Danaë mit Perseus schwanger, nachdem sie den Samen des Gottes Zeus als Goldregen empfangen hatte. Im Mythenreich des persischen Zoroastrismus gebaren Jungfrauen gleich drei Erlöser. Und auch Alexander der Große wurde der Legende nach von einer Jungfrau geboren. Selbst dem Alten Testament ist das Motiv nicht völlig fremd. Die Genesis erzählt vom Beischlaf zwischen Menschentöchtern und Gottessöhnen.
Mit der Geschichte der Geburt Jesu durch die Jungfrau Maria lehnte sich Matthäus also nicht so weit aus dem Fenster, wie man es heute glauben mag. Im Gegenteil: Er bediente sich eines literarischen Motivs, das sich von Persien bis Ägypten über Jahrhunderte bewährt hatte.
Lieber vom Heiligen Geist schwanger von einem römischen Soldaten
Dass diese fantastische Geschichte auch in den folgenden Jahrzehnten auf offene Ohren stieß, hatte aber noch einen ganz praktischen Grund: Man entledigte sich damit der schwierigen Frage nach der Vaterschaft Jesu. Noch bis ins zweite Jahrhundert hielt sich das Gerücht, Maria hätte sich in Wahrheit von einem römischen Soldaten namens Panthera schwängern lassen – und das während sie mit Josef schon verlobt war.
Der Messias ein uneheliches Kind einer Fremdgeherin und eines Besatzungssoldaten? Im Vergleich dazu wirkte die Geschichte von der Jungfrauengeburt harmlos.
Einmal Nazareth –> Bethlehem und wieder zurück
Matthäus und seine Zeitgenossen wussten wie gesagt nicht viel über die Kindheit ihres Messias. Was sie wussten: Er musste aus Nazareth stammen. So hatte es unter anderem der Evangelist Markus berichtet. Das stellte Matthäus allerdings vor eine echte narrative Herausforderung. Denn schon lange zuvor hatte der alttestamentarische Prophet Micha berichtet, der Messias werde in der Stadt Davids geboren werden. Und das war Bethlehem.
In etwa zur selben Zeit wie Matthäus löste der Evangelist Lukas den Widerspruch durch einen vergleichsweisen simplen erzählerischen Kniff. In der Version von Jesu Geburt, mit der Lukas sich an seine Gemeinde von Heidenchristen wandte, schickt er Maria und Josef von Nazareth zur Volkszählung nach Bethlehem. Matthäus holte hingegen weit aus und verfasste die Geschichte von den „Sterndeutern aus dem Osten“:
Als Jesus zur Zeit des Königs Herodes in Betlehem in Judäa geboren worden war, kamen Sterndeuter aus dem Osten nach Jerusalem und fragten: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen. (…) Und der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, zog vor ihnen her bis zu dem Ort, wo das Kind war; dort blieb er stehen.
Die folgende Geschichte geht kurz gefasst so: Die Sterndeuter wollten eigentlich den römischen Machthaber Herodes über den genauen Ort von Jesu Geburt informieren. Doch im Traum werden sie davor gewarnt, zu ihm zurückzukehren. Denn dieser fürchtet die Konkurrenz des neuen Königs der Juden und lässt kurzerhand alle Kleinkinder Bethlehems töten.
Gerade noch rechtzeitig warnt ein Engel Josef, der daraufhin mit seiner Familie nach Ägypten flieht und nach dem Tod von Herodes in seine Heimat zurückkehrt. Da nun aber der tyrannische Sohn des Herodes Archelaos über Bethlehem herrscht, lassen sich Jesus und seine Familie in Nazareth nieder.
Magier, Könige oder Weise? Und wenn ja wieviele?
Wegweisende Sterne, fremde Magier, Flucht vor einem Despoten: In seiner Erzählung bedient sich Matthäus gleich einer ganzen Reihe literarischer Motive und zeitgeschichtlicher Ereignisse. Vieles spricht dafür, dass die Figuren der „Sterndeuter“, die man auch als „Magier“ übersetzen kann, auf realen Personen basieren.
Der Begriff „mágos“, den Matthäus verwendet, wurde zu jener Zeit auch für zoroastrische Priester benutzt und eben solche sollen zu Matthäus Lebzeiten tatsächlich durch die Region gereist sein, um dem römischen Kaiser ihre Ehrerbietung zu machen.
Bis aus ihnen Könige wurden, dauerte allerdings noch bis ins dritte Jahrhundert. Die Umdeutung begann vermutlich mit dem Kirchenschriftsteller Tertullian. Dieser schrieb, die Magier seien fast wie Könige aufgetreten. Die Bezeichnung „Weise aus dem Morgenland“ kam noch einmal deutlich später hinzu: in Luthers Bibelübersetzung.
Auch die Angabe, dass es sich um drei Personen handelt, findet sich nicht in der Bibel. Vermutlich entstand sie in Anlehnung an die drei Geschenke Gold, Weihrauch und Myrrhe, die die Magier Jesus übergaben. Allesamt nicht unübliche Geschenke für antike Zeiten. Aber noch bis ins 19. Jahrhundert lassen sich auch Darstellung von vier oder zwei Königen finden.
Wenn etwas Wichtiges am Boden geschah, blitzte, funkelte oder verdunkelte sich ständig etwas am Himmel
Darüber, was es mit dem Stern auf sich hat, debattierten Gelehrte noch bis in die Neuzeit. Heute gelten alle Theorien, wonach hinter ihm ein reales astronomisches Ereignis steckte – wie z.B. der Halleysche Komet – als wissenschaftlich nicht haltbar.
Sicher ist hingegen: Die Idee, irdischen Ereignissen mittels kosmischer Erscheinungen zu überirdischer Relevanz zu verhelfen, war keine, die sich Matthäus neu ausdenken musste. Ob in Altägypten, Mesopotamien oder Persien: Wenn in den Legenden des Altertums etwas wichtiges am Boden geschah, blitzte, funkelte oder verdunkelte sich häufig auch etwas am Himmel.
Auch die Antike kennt dieses Phänomen: Am ersten Todestag Julius Caesars soll ein Komet über sieben Tage geleuchtet haben und damit die Aufnahme der Seele des Kaisers in den Himmel bezeugt haben.
Die Bibel kennt solche Geschichten ebenfalls: In der Prophezeiung des Joel heißt es: „Die Sonne soll in Finsternis und der Mond in Blut verwandelt werden, ehe denn der große und schreckliche Tag des Herrn kommt.“ Und rund 20 Jahre vor Matthäus ließ Markus als Ankündigung des Jüngsten Gerichts, Sterne vom Himmel fallen.
Eine Geschichte, die so mächtig ist, das sie auch 2000 Jahre noch Kirchenbänke füllt
Eine Frage nach den Ursprüngen der Weihnachtsgeschichte, kann der Blick ins Matthäus-Evangelium und in die literarischen Traditionen des Altertums allerdings nicht beantworten: Woher stammen Ochs und Esel?
Von beiden ist im Neuen Testament keine Rede. Vermutlich kamen sie erst hunderte Jahre später hinzu. Im wahrscheinlich Anfang des 7. Jahrhunderts entstandenen Pseudo-Matthäus-Evangelium heißt es:
Am dritten Tag nach der Geburt des Herrn verließ Maria die Höhle und ging in einen Stall. Sie legte den Knaben in eine Krippe, und ein Ochse und ein Esel beteten ihn an.
Bleibt die Frage: Wozu der ganze Aufwand? Die Antwort führt zurück auf heutige Kirchenbänke. Für Matthäus und seine kleine Gruppe von Judenchristen waren es stürmische Zeiten. Im Krieg gegen die römischen Besatzer hatten hunderttausende Juden in den Jahrzehnten zuvor ihr Leben verloren.
Die alte Welt lag in Trümmern und der neue Glaube war noch lang kein Selbstläufer. In dieser Situation versuchten Matthäus und andere die brüchige Identität ihrer Gemeinden zu stärken: nicht mit Gewalt oder Gesetzen, sondern mit Geschichten.
Das Ergebnis ist eine Erzählung, die dazu beitrug, dass aus der spärlichen Anhängerschaft eines nahöstlichen Predigers eine Weltreligion wurde und es schafft als „Weihachsgeschichte“ selbst noch 2000 Jahre später Kirchenbänke zu füllen.
[Das Aufmacherbild stammt aus dem 1907 veröffentlichten Buch “The golden staircase: poems and verses for children”. Eingescannt und zur Verfügung gestellt wurde es vom Internet Archive Book Images.]
3 Kommentare On Warum liegt da Stroh? Oder: Wie ein syrischer Religionslehrer Weihnachten erfand
Was Ochs und Esel angeht: Jes 1,3. Womöglich ne antijüdische Spitze…
Schöner Artikel. Nur eines möchte ich zur Übersetzung von Jes. 7,14 anmerken. Das hebr. Wort “alma” wird in christlichen (deutschen) Bibeln mit “Jungfrau” übersetzt, was aber im jüd. Verständnis nur “junge Frau” heißt, was nicht zwingend “Jungfrau” bedeutet, sondern sich lediglich auf das Alter bezieht (das hebr. Wort für Jungfrau ist “betulah”).
Die neue kath. Einheitsübersetzung gibt das zumindest in der Fußnote auch so an, wenngleich sie das Wort “alma” in Jes. 7, 14 weiterhin mit “Jungfrau” übersetzt, wohingegen sie das gleiche Wort in Sprüche 30,19 mit “junger Frau” übersetzt, die aber aufgrund des Tatbestandes “Ehebruch” keine Jungfrau mehr sein kann. Insofern eignet sich Jes. 7,14 nicht als Belegstelle. Trotzdem stimme ich natürlich dem Autor zu, dass dieses Narrativ in der antiken Welt kursierte.
gut gegoogelt. so ähnlich stehts in wikipedia. klasse, so kann man wissen vortäuschen.