Zeitungen schrieben schon vom „neuen Gesicht Berlins“: Gefeiert von Politik und Öffentlichkeit sollte vor 100 Jahren in Berlin eine riesige Moschee entstehen. Der Islamwissenschaftler Mohammad Luqman Majoka über ein gescheitertes Megaprojekt, das multikulturelle Berlin der 1920er und die überraschend alte Geschichte des Islam in Deutschland.
Wenn von der Geschichte des Islam in Deutschland die Rede ist, hören wir meist von der Arbeitsmigration der 50er und 60er. Bei Ihnen geht’s hingegen schon im Berlin der 1920er los. Bevor wir zur Moschee selbst kommen: Wie sind Sie eigentlich darauf gestoßen?
Die Erforschung der Geschichte des Islam ist sozusagen mein Beruf. Mit den ersten Recherchen habe ich bereits während meines Studiums der Islamwissenschaft angefangen. Später wurde ich vom Geschichtskomitee der Gemeinde beauftragt, mich mit dem 100-jährigen Bestehen in Deutschland auseinanderzusetzen. Ich habe gemeindeinterne Dokumente ausgewertet, bei Berliner Archiven, in der Staatsbibliothek, beim Auswärtigen Amt und im Bauarchiv von Berlin-Charlottenburg nachgeschaut und auf Basis dessen versucht, ein Gesamtbild zu erstellen.
Mit „die Gemeinde“ meinen Sie die Ahmadiyya?
Genau. Die Ahmadiyya versteht sich als islamische Reformgemeinde. Sie wurde 1889 von Hadhrat Mirza Ghulam Ahmad in der kleinen nordindischen Stadt Qadian gegründet. Er erhob den Anspruch der von allen Religionen und besonders vom Propheten Muhammad vorausgesagte Messias und Mahdi zu sein. Man hatte den Anspruch, den Islam zu etablieren in der Welt, auch im Westen. Das tat man unter anderem durch die Publikation von Zeitschriften. Man schickte aber auch Imame in alle Welt, um neue Gemeinden zu gründen.
Einen dieser Imame verschlug es ins Berlin der 20er-Jahre. Wer war das und wie kam er hierher?
Imam Mubarak Ali kam aus der damaligen indischen Provinz Bengalen, heute Bangladesch. Ursprünglich sollte er über England nach Westafrika reisen und dort am Gemeindeaufbau mitwirken. Infolge des Ersten Weltkrieges war der Schiffsverkehr aber sehr eingeschränkt, deshalb blieb er zunächst in London. Als zwei Jahre später der Entschluss gefasst wurde, auch in Deutschland eine Gemeinde zu gründen, kam er schließlich nach Berlin.
Heutige muslimische Migranten erleben häufig Ausgrenzung und Verdächtigung. Wie war das vor 100 Jahren? Wie wurde Mubarak Ali empfangen?
Damals kannte man Muslime aus ganz anderen Kontexten: als Diplomaten, als Studenten, als Revolutionäre. Deshalb wurden sie auch ganz anders aufgenommen. Mubarak Ali kam in ein Berlin, das sich gerade erholt hatte vom Ersten Weltkrieg: sehr dynamisch, sehr pulsierend. Das Berlin der 20er stand für Fortschritt. Es war eine Zeit, in der man sehr offen mit Neuerungen umging. Mubarak Ali schrieb später einmal selbst, Berlin sei tausendmal schöner als London, hier könne man vielmehr viel schneller erreichen als in London.
Wie islamisch war das Berlin der 1920er?
Es gab schon in den 1920ern mehrere muslimische Communitys in Berlin:Es gab eine türkische Community um die türkische Botschaft herum. Es gab eine Gemeinde von Tartaren. Es gab Kriegsgefangene des Ersten Weltkrieges. Es gab Studenten aus vielen islamischen Ländern. Diplomaten gab es natürlich auch. Und es gab viele Revolutionäre, die auch gezielt nach Deutschland eingeladen wurden.
Warum das?
Im Ersten Weltkrieg wurde von bekannten Orientalisten Max von Oppenheim die Strategie von „Die Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde“ entwickelt, die besagte, dass man den Gegner im Krieg dadurch schwächen soll, indem man in islamischen Regionen Revolutionen anstachelt. Man führte deshalb muslimische Kriegsgefangene in eigenen Lagern zusammen und versuchte sie gegen England und Frankreich zu indoktrinieren.
Wie im „Halbmondlager“ in Wünsdorf südlich von Berlin, wo 1915 die erste deutsche Moschee entstand.
Ja, das war einer der Versuche, die Gefangenen für die deutsche Sache zu gewinnen und sie dazu zu bringen, nach ihrer Freilassung in ihrer Heimat Revolutionen anzustacheln. Die Moschee ist später auch von Berliner Muslimen bei Feierlichkeiten verwendet wurden. In den 1920er musste sie wegen Baufälligkeit abgerissen worden.
Zurück zu Mubarak Alis Moscheebau von Charlottenburg. Vor fast genau 100 Jahren am 6. August legte er den Grundstein zu einer Moschee, die auch heute noch die größte in ganz Deutschland wäre. Wie genau sollte das Gebäude aussehen?
Geplant war ein vierstöckiges imposantes Gebäude, das die Menschen wirklich anzieht. Zwei 60 Meter hohe Minarette, 24 Meter-Kuppel. Es sollte eine Bibliothek und ein Restaurant geben. Außerdem waren ein Studentenwohnheim und eine eigene Residenz für die Imame geplant.
Wie hat er diesen Riesenbau eigentlich finanziert?
Das Geld hatten Ahmadi-Frauen vor allem in Indien aber auch in anderen Teilen der Welt gesammelt. Der zweite Kalif der Ahmadiyya Gemeinde hatte sich zuvor gewünscht, dass der erste Moscheebau in Deutschland von Frauen finanziert werden sollte, um den im Westen verbreiteten Vorurteil von der angeblichen Rückständigkeit der muslimischen Frauen zu entgegnen. Muslimische Frauen spenden dem Westen eine Moschee.
Wer heute in Deutschland eine Moschee bauen will, stößt in der Regel auf jede Menge Widerstand: von protestierenden Anwohnern bis Behörden, die die nötigen Genehmigungen verweigern. Wie schnell kam Ali mit seinen Plänen voran?
Er hatte im Januar 1923 das Grundstück in Berlin-Charlottenburg beim Bahnhof Witzleben erworben. Den gibt es auch noch heute. Vom Kauf des Grundstücks bis zur Baugenehmigung verging dann gerade mal ein halbes Jahr. Das ging wirklich alles sehr problemlos. Man hatte auch kein Problem mit der Höhe des Minarettes, obwohl kaum ein Gebäude in Berlin damals 60 Meter hoch war.
Wie reagierte die Bevölkerung auf den Bau?
Der Großteil der Bevölkerung war sehr offen und begrüßte den Moscheebau. Zur feierlichen Grundsteinlegung kamen 400 Personen: verschiedene prominente Berliner, Vertreter aus Politik und Gesellschaft und Journalisten. Das zeichnete vielleicht auch das Berlin der 20er Jahre aus. Es war eine Zeit des Umbruchs und deshalb war man solchen Dingen gar nicht so abgeneigt.
Aber ein paar Berliner waren auch gegen den Moscheebau. Zeitungen schrieben über eine Störaktion. Was war da los?
In manchen revolutionären muslimischen Kreisen kursierte der Vorwurf, dass der Imam der Ahmadiyya auf Seiten der Engländer stünde und die Ahmadis Agenten der Engländer seien. Das war in der damaligen Zeit natürlich ein sehr brisanter Vorwurf. Am Tag der Grundsteinlegung versuchte dann ein Ägypter die Zeremonie zu stören. Er wurde von der Polizei abtransportiert. Aber für die Zeitungen war das ein gefundenes Fressen.
Trotz der vielen positiven Vorzeichen hat es mit dem Moscheebau nicht geklappt. Was ist passiert?
Ja, leider hat das nicht geklappt. Man hatte gerade das erste Stockwerk fertiggestellt als die Weltwirtschaftskrise von 1923 den Bau beendete. Der Imam beschrieb das auch in seinen Briefen nach Indien. Erst gab es Streiks von Arbeitern, dann kam die Hyperinflation, die dazu führte, dass das gespendete Geld plötzlich nichts mehr wert war und man nicht mehr die Mittel hatte, den Moscheebau fertigzustellen. 1924 in der jährlichen beratenden Versammlung in Qadian wurde darüber diskutiert, was man mit der Berliner Moschee machen solle und die meisten Mitglieder votierten dafür, den Moscheebau einzustellen. Das gespendete Geld sollte dem Bau der ersten Moschee in London zugutekommen. An der Stelle der Berliner Moschee wurden dann Wohnungen gebaut.
Vier Jahre später bekamen Berliner Muslime im benachbarten Stadtteil Wilmersdorf dann doch noch eine Moschee. Hinter der steckt ebenfalls eine Ahmadiyya-Gemeinde. Was hat es damit auf sich?
Das ist die Moschee der Lahore-Ahmadiyya. Die Lahore-Ahmadiyya hatte sich in Indien im Streit um die Weiterführung des Kalifats abgespalten. Die Lahore-Ahmadis schickten 1922 ebenfalls einen Imam aus Indien nach Berlin, um eine Gemeinde zu gründen. Was den Moscheebau angeht, hatten sie das Glück, etwas später anzufangen. Außerdem sammelten sie auch Spenden außerhalb ihrer eigenen Gemeinde und nahmen Kredite auf, waren also finanziell breiter aufgestellt, aber gleichzeitig von ihren Spendengebern abhängig. Dazu muss man sagen, dass die Moschee von Wilmersdorf auch viel kleiner ausfällt als die von Charlottenburg. Beide wurden übrigens vom selben Architekten Karl Alfred Herrmann entworfen.
Nur fünf Jahre später war es vorbei mit dem progressiven, multikulturellen Berlin. Die Nazis ergriffen die Macht. Welche Folgen hatte das für die muslimischen Gemeinden der Stadt?
Die Gemeinde um die Wilmersdorfer Moschee hat noch bis in die 30er Jahre gewirkt. Dort traf sich die Deutsch Moslemische Gesellschaft, in der auch Juden Mitglied waren. Deshalb geriet sie schnell unter Druck der Gestapo, die verdächtigte, dass die Moschee Juden als Unterschlupf diente – was auch tatsächlich der Fall war. Auf der anderen Seite gab es aber auch Nazis, die sich plötzlich der Gemeinde anschlossen. Die NS-Zeit hat die Deutsch Moslemische Gesellschaft dann nicht überlebt. Viele Muslime hatten Deutschland bereits vor der Machtergreifung verlassen. Im Zweiten Weltkrieg kämpften viele von ihnen auf Seiten der Alliierten gegen das Nazi-Regime.
Und was wurde aus Mubarak Ali?
Er reiste bereits 1925 zurück nach Indien. Dort kehrte er in seinen alten Beruf als Lehrer zurück und wurde später zum provinzialen Vorsitzender der Ahmadiyya Gemeinde in Bengalen berufen. Er war ein sehr angesehener und beliebter Vorsitzender der Gemeinde in Bengalen.
85 Jahre nach der Grundsteinlegung in Berlin-Charlottenburg eröffnete die Ahmadiyya-Gemeinde in Berlin dann doch noch eine Moschee. Gibt es eine Verbindung zwischen dem gescheiterten Moscheebau von Berlin-Charlottenburg und der 2008 eröffneten Khadija-Moschee in Berlin-Pankow?
Ja, die Moschee in Berlin-Pankow knüpft direkt den Bau von Charlottenburg und ihre Historie an. Die Frauenorganisation Lajna Imaillah der Ahmadiyya in Deutschland sagte damals, sie wollen den Bau, der damals nicht realisiert werden konnte, jetzt umsetzen. Auch die Moschee in Pankow wurde komplett von Ahmadi-Frauen finanziert. Und auch der Entwurf stammt von einer Ahmadi-Architektin.
Zum Schluss noch eine persönliche Frage. Sie sind selbst Muslim und Ahmadi und haben sich intensiv mit der Zeit beschäftigt: Wie wehmütig ist ihr Blick auf die Zeit? Was empfinden Sie, wenn Sie auf das kurze Aufblühen islamischen Lebens im Berlin der 1920er zurückblicken?
Also wehmütig bin ich nicht, so ist der Gang der Geschichte nun mal. Was heute aber fehlt, ist das Bewusstsein über unsere Geschichte. Als Geschichtswissenschaftler wünsche ich mir, dass wir uns mehr mit unserer Geschichte auseinandersetzen, auch damit, was das für die damalige Zeit eigentlich bedeutete. Da kommt diese kleine Gemeinde aus Indien und versucht in Berlin eine riesige Moschee zu bauen. Welche Anstrengungen, welche Dynamiken, welchen Visionen stecken dahinter? Davon wissen die meisten Menschen nichts. Die Geschichte zeigt auch, welche lange Tradition der Islam in Deutschland eigentlich hat. Sie zeigt auch, welche Offenheit, welcher Fortschrittsglaube und welche Neugier in Deutschland bereits vor 100 Jahren herrschten. Und sie zeigt leider auch, wie schnell all das wieder verloren gehen kann.