Wie gewonnen, so zerronnen. So könnte man aus Sicht vieler Muslime die Berufung Nurhan Soykans ins Beraterteam des Auswärtigen Amts zusammenfassen. Nachdem ein Vertreter des Ministeriums am 20. Juli bekanntgab, die Generalsekretärin des “Zentralrat der Muslime” in die Abteilung „Religion und Außenpolitik“ aufzunehmen, folgte am Mittwoch der Rückzieher. Man lasse das Projekt erst einmal ruhen, erklärte ein Sprecher.
Zuvor waren in vielen Medien Vorwürfe gegen die Generalsekräterin des „Zentralrat der Muslime“ laut geworden. Der drängendste: Soykan habe die jährlich stattfindenden anti-israelischen Al-Quds-Demos verharmlost, ja gar die Zerstörung Israels verteidigt.
Unter der Überschrift „Diesmal nicht, Herr Maaß!“ erfuhren dies beispielsweise Leser des rechten Blogs „Achse des Guten“. Der Tagesspiegel schrieb, Soykan habe „die Al-Quds-Demonstrationen verteidigt, die von Hassparolen und judenfeindlichen Stereotypen geprägt sind.“ Ein BILD-Journalist brachte Soykan auf Twitter in Verbindung mit “Sieg Heil”- und “Israel vergasen”-Rufen. Und die Jerusalem Post titelte gar „Deutsches Ministerium stellt Islamistin ein, die die Zerstörung Israels verteidigt.“
Zuletzt wandte sich auch der „Liberale Islamische Bund”, der in den letzten Jahren in vielen Gremiem selbst mit dem „Zentralrat der Muslime“ zusammengearbeitet hatte, gegen die Besetzung und gab damit womöglich den Ausschlag für den Rückzug des Auswärtigen Amtes. In einem am Dienstag veröffentlichten Offenen Brief heißt es unter anderem:
Dass Frau Soykan den Al-Quds-Marsch dennoch verteidigt und dessen grundlegenden antisemitischen Charakter nicht erkennt oder nicht erkennen will, stellt ihr Wertefundament bzw. ihr Urteilsvermögen in Frage, was sie als Beraterin des Auswärtigen Amtes disqualifiziert und ihre Berufung durch das Auswärtige Amt auch die Glaubwürdigkeit des Ministeriums im Kampf gegen Antisemitismus in Frage stellt.
Um festzustellen, dass die Vorwürfe nicht stimmen, braucht man einfach nur das Interview lesen
Einen Haken hat die ganze Geschichte allerdings: Die Vorwürfe stimmen nicht. Nurhan Soykan hat weder die Zerstörung Israels, noch die anti-israelische Al-Quds-Demo verteidigt.
Dies festzustellen, ist nicht schwer. In Soykans Vita finden sich keinerlei Hinweise, man könnte es bei ihr mit einer Antisemitin zu tun haben. Im Gegenteil: Als Generalsekretärin des „Zentralrats der Muslime“ und Mitglied in interreligiösen Arbeitskreisen wie der „Arbeitsgemeinschaft Religion und Integration“ (ARI) des Landes NRW warnte sie vor Salafisten und verurteilte islamistische Terroranschläge ebenso wie zunehmende Islamfeindlichkeit. Auch ihre zahlreichen Kritiker scheinen bisher nichts entsprechendes gefunden zu haben.
Stattdessen verweisen sie übereinstimmend auf ein einziges Interview. Im Gespräch mit Liane von Billerbeck von Deutschlanfunk Kultur äußert sich Soykan am 25. Juli 2014 zu damals stattfindenden Protesten gegen Israel. Ließt man nur Vorspann und Überschrift, kann man tatsächlich den Eindruck gewinnen, Soykan würde zur anti-israelischen Al-Quds-Demo Stellung nehmen:
Die Generalsekretärin des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), Nurhan Soykan, hat vor den heutigen Demonstrationen zum Al-Quds-Tag zur Mäßigung aufgerufen. Sie mahnte aber auch zu Verständnis für den Ärger über die Bombardierung von Gaza.
Im Gespräch selbst sieht es allerdings ganz aus. Die Interviewerin erwähnt (den am Freitag stattfindenden) Al-Quds-Tag im ganzen Interview lediglich in ihrer Einstiegsfrage. Soykans Antwort bezieht sich allerdings auf die Demos gegen den damals stattfindenden Gaza-Krieg am Tag darauf (Samstag).
von Billerbeck: Die Polizei in Berlin rechnet heute mit weit mehr Teilnehmern als in früheren Jahren an diesem Al-Quds-Tag. Befürchten auch Sie eine weitere Eskalation auf den Straßen?
Soykan: Ich hoffe es nicht, ich habe von einigen Demonstrationen am Samstag gehört und da haben die Veranstalter auch noch mal sehr eindringlich darauf hingewiesen, dass man sich mäßigen soll und dass man eben friedlich demonstrieren soll. Und ich hoffe, dass sich die Demonstranten auch daran halten werden.
Auch in der nachfolgenden Frage wird deutlich, das beide von zukünftigen Protesten sprechen und nicht von der Al-Quds-Demo, die am Tag des Interviews in Berlin stattfindet.
von Billerbeck: Was wissen Sie da aus Ihren muslimischen Gemeinden, was ist da geplant?
Soykan: Da sind Demonstrationen in Frankfurt und in Berlin geplant.
Im weiteren Gespräch äußert Soykan an einer Stelle Verständnis gegenüber Menschen, die gegen Israels Politik auf die Straße gehen. Dieses Zitat ist es, auf das Kritiker ihre Vorwürfe gegenüber Soykan begründen.
Ja, leider ist es so, dass vieles durcheinandergeworfen wird. Wir haben uns auch immer davon distanziert, Juden allgemein anzugreifen und zu beleidigen. Aber es muss auch möglich sein, die israelische Politik genauso wie die Politik anderer Länder kritisieren zu dürfen. Da muss man wirklich eine Trennschärfe einhalten. Und man muss auch eine Gelegenheit geben vor allem den Jugendlichen und den jungen Leuten in Deutschland, die sich auf diesem Weg der Demonstration Luft machen wollen und ihren Ärger auch mal zeigen wollen, denen muss man auch die Möglichkeit geben, das äußern zu können.
Erneut kommentiert Soykan hier nicht den Al-Quds-Tag, sondern äußert sich immer noch allgemein zu den in vielen Städten stattfindenden Demos gegen Israels Krieg in Gaza. Auch als Aufruf zur Zerstörung Israels lässt sich dieses Zitat kaum lesen.
Auch andere Aussagen Soykans widersprechen dem Eindruck, sie verharmlose antisemitische Proteste. An mehreren Stellen im Interview übt sie Kritik an Parolen und Verhalten der Demonstranten. Stellen wie diese lassen viele Kritiker unerwähnt:
Was ich da gehört habe, was da für Parolen gerufen worden sind, das hat mich auch sehr traurig gemacht, und ich finde, das schickt sich nicht. Das ist natürlich niveaulos und ich rufe heute noch mal unsere muslimischen Geschwister auf, das zu unterlassen. Sie sollen sich benehmen, wie es einem Muslim gebührt, und dazu gehört nicht, dass man Angehörige anderer Religionen beleidigt oder irgendwelche Diffamierungen vornimmt. Da sollen sie sich wirklich auf das allgemeine Benehmen konzentrieren und Zurückhaltung üben.
Verständnis und Verurteilung: Soykan hat geantwortet wie viele andere auch
Und noch etwas spricht dagegen, Soykans Äußerungen zu problematisieren: Über das ganze Gespräch hinweg verurteilt sie einerseits antisemitische Parolen und gewalttätige Protesten. Andererseits äußert sie Verständnis über Wut und Empörung angesichts der Ereignisse in Nahost. Mit dieser Formel ist Soykan nicht allein. Sie findet sich in zahlreichen Politikerstatements jener Zeit.
Nur einen Tag vor Soykans Interview erscheint beispielsweise im Tagesspiegel ein Gespräch mit Grünen-Politiker Volker Beck. Auch hier sind die damals stattfindenden Demonstrationen gegen Israel Thema. Neben viel Kritik äußert auch Beck Verständnis:
Dass Menschen mit familiären Bezügen in den Nahen Osten wütend sind, das ist zu verstehen.
Auf die Frage nach den Grenzen von Kritik an Israel antwortet Beck damals folgendes:
Natürlich darf man die Militärpolitik auch kritisieren. Was falsch ist, ist falsch, unabhängig davon, wer es tut. Wenn Israel Stellungen im Gaza beschießt und man dabei den Eindruck hat, dass unverhältnismäßig viele Zivilisten getötet werden, dann muss man das kritisieren und hinterfragen können.
und an anderer Stelle:
Es gibt Leute, die über Fehler der israelischen Regierung hinwegsehen wollen. Das ist so wenig hilfreich, wie über die Fehler der palästinensischen Führung hinwegzusehen.
Auch Beck gehörte in den letzten Tagen zu jenen, die die Berufung von Nurhan Soykan ins Beraterteam des Auswärtigen Amt kritisierten.
Um nicht den falschen Eindruck zu erwecken: Auch er äußert sich in dem Gespräch mit dem Tagesspiegel sehr kritisch in Richtung der Demonstranten und verurteilt unter anderem die „Schamlosigeit der Äußerungen“ und „antisemitische Untertöne“. Ebenso gibt Becks sonstiges Engagement keinen Anlass, an seiner Ablehnung von Antisemitismus zu zweifeln. Dasselbe gilt aber auch für Nurhan Soykan.
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2 Kommentare On Nein, Nurhan Soykan hat keine antisemitischen Demos verteidigt
Sehr gut recherchiert, schön aufgearbeitet und dargestellt, genau so ist es! Das ist die eigentliche Wahrheit, die einfach in einer Hexenjagd und Schmutzkampagne an einer auch noch muslimischen Frau mit Kopftuch, die ja schon genug solcher Hetze allein deswegen erlebt hat, ausgelassen wird, um einer bestimmten Lobby zu dienen.
Guter Journalismus!
Ich empfehle die Lektüre vom Blog “Schmalle und die Welt”, der sehr eindrücklich die Problematik des “Zentralrates der Muslime” belegt. Dieser arbeitet offensichtlich mit Organisationen zusammen, die der Muslimbruderschaft nahe stehen. Frau Soykan ist die stellv. Vorsitzende dieses Zentralrates, der nur einen Bruchteil der hier lebenden Muslime vertritt.
Allein das reicht in meinen Augen aus, um ihr eine Position im AA zu verwehren. Diese Position ist keineswegs unbedeutend! (Ihr letzter Artikel) Mit einer solchen Position “schmückt” man sich und öffnet weitere Türen.
Ich bin sehr froh, dass es in der deutschen Presse immer normaler wird, über das Übel von Clankriminalität, archaischen Wertevorstellungen, politischen Islam, Islamismus u.a. zu berichten. Dabei lehne ich jede Pauschalisierung und Hetze ab. Doch die Probleme von Migration, Zuwanderung, abgelehnter Integration etc. müssen benannt und diskutiert werden. Leider gibt das eigentlich von mir bevorzugte Links-Grüne Milieu oft keinerlei Raum für die Benennung der Probleme und es wundert mich nicht, dass die Zustimmungswerte weiter sinken. Zudem arbeite ich selbst im Bereich der Migration und ich kann da nicht mehr blauäugig sein, was nur ein Beleg von Gedankenlosigkeit bzw. Gleichgültigkeit wäre, wenn man sich die “Geschichten” von Betroffenen anhört.
Wie wäre es, die liberalen Muslime oder jene, die für ihre Meinungen – auch hier in D – verfolgt werden und Polizeischutz benötigen einzustehen. Da lese ich bei Ihnen, genau, nichts!
Vor gut 4 Jahren hätte ich Ihre Artikel für bare Münze genommen, heute wirken sie auf mich verblendet, unter einer Agenda stehend bis krass desinformierend. Die Ahmaddyya z.B. schließen offen Homosexuelle aus ihrer Gemeinschaft aus, basta, sie haben es nicht nur “einfach schwerer” oder “können nicht Präsident werden”.