Wer hat’s gesagt: Sarrazin oder Wagenknecht?

Es ist nicht alles schlecht an Sahra Wagenknechts neuem Buch. Wenn sie Jahrzehnte der Dumpinglöhne, Auslagerungen und sozialer Entsolidarisierung analysiert, in denen gleichzeitig die Klassenfrage immer mehr aus dem (linken) Bewusstsein verschwindet, ist Die Selbstgerechten richtig gut.

An vielen Stellen ist das Buch weit weniger polemisch als es die Vorab-Verrisse glauben lassen. Wagenknecht schreibt analytisch, faktenreich und empirisch gut belegt. Sie tut aber leider auch das Gegenteil. Dann verliert sie sich in jener Identitätspolitik, die sie vorgibt zu kritisieren, spielt marginalisierte Gruppen gegeneinander aus und ersetzt die nüchterne sozioökonomische Analyse durch billige rechte Klischees.

Viele von Wagenknechts Ausführungen zu Cancel Culture und “Lifestyle-Linken” würden auch in einer Dieter Nuhr-Show nicht auffallen. Viele ihrer Thesen zu Migrant:innen und Muslim:innen (die fast ausschließlich als Islamisten auftreten) könnten genauso auch bei Sarrazin stehen.

Wie ähnlich sich die Werke von Linkenpolitikerin und Rechtspopulist sind, soll das folgende Quiz zeigen. Im Folgenden findet ihr Stellen aus Wagenknechts Die Selbstgerechten und Zitate aus Büchern von Thilo Sarrazin. Könnt ihr sie der richtigen Person zuordnen? Die Auflösung gibt es am Ende.

1. Man wird ja wohl noch…

Sahra Wagenknechts Die Selbstgerechten ist nicht die erste Abrechnung mit Linksliberalen. In Der neue Tugendterror zeichnete Thilo Sarrazin 2014 das Zerrbild eines Landes, dass durch „politische Korrektheit“ und “linke Meinungsdiktatur“ dem Untergang geweiht ist. Von wem stammt dieses Zitat?

Wer vom Kanon ihrer Denkgebote abweicht, ist für Linksliberale daher auch kein Andersdenkender, sondern mindestens ein schlechter Mensch, wahrscheinlich sogar ein Menschenfeind oder gleich ein Nazi. Aus dieser Sichtweise erklärt sich die Aggression, mit der Positionen, aber auch Personen bekämpft werden, die sich außerhalb des linksliberalen Weltbilds bewegen oder auch nur eines seiner heiligen Gebote verletzen. Im Kampf gegen Nazis ist immerhin (fast) alles erlaubt. Und liberal ist der Lifestyle-Linke tatsächlich nur im Dunstkreis seines eigenen Denkens.

2. Linke vs. die schweigende Mehrheit

Um ihre politische Forderungen zu legitimieren, inszenieren sich Rechtspopulisten wie Thilo Sarrazin wie in diesem Zitat gern als Vertreter einer (schweigenden) Mehrheit. Oder ist es hier doch die Linken-Frontfrau, die eine vermeintlich weit verbreitete Angst vor fremdsprachigen U-Bahn-Passagieren in Verbindung mit strengeren Zuwanderungsregeln bringt?

Die breite Verunsicherung mag auch daher rühren, dass die vom Linksliberalismus auf den Index gesetzten Auffassungen vielfach just solche sind, die große Teile oder sogar die Mehrheit der Bevölkerung für richtig halten. So lehnen nach Umfragen in allen westlichen Ländern 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung hohe Zuwanderung ab und wünschen sich restriktivere Regeln. Genau das genügt freilich, um nach offizieller linksliberaler Lesart als Rassist zu gelten. In die gleiche Schublade werden auch Menschen gepackt, die sich unsicher fühlen, wenn sie in einem öffentlichen Verkehrsmittel allein mit einer größeren Gruppe von Männern unterwegs sind, die eine fremde Sprache sprechen.

3. die eigentlichen Opfer von #metoo

Auch vier Jahre nach ihrem Beginn ist die #metoo-Debatte nicht zu Ende. Für Autoren wie Thilo Sarrazin steht das Hashtag allerdings weniger für die Sichtbarmachung sexueller Übergriffe gegenüber Frauen als für ungerechtfertigte Vorwürfe gegen unbescholtene Männer. Oder stammt das Zitat doch von der ehemaligen Linken-Fraktionsvorsitzenden?

Auch der Umgang zwischen den nicht mehr existierenden Geschlechtern ist komplizierter geworden. Ein nett gemeintes Kompliment, an die falsche Adresse gerichtet, kann einen Mann schnell zum Gegenstand rüder Sexismus-Vorwürfe machen. Dabei wächst die Zahl der Denkgebote und Benimmregeln in einem Tempo, bei dem Normalbürger – also Leute, die sich tagsüber mit anderen Dingen als mit diskursiver Awareness beschäftigen – keine Chance haben mitzuhalten. Am Ende ist es für sie das Beste, einfach nichts mehr zu sagen.

4. Inquisition auf Twitter

Die vermeintliche Cancel Culture gehört derzeit zu den Lieblingsthemen deutscher Feuilletonisten. In seinem 2016 erschienenen Buch Wunschdenken beschreibt Thilo Sarrazin, wie diese selbst vor Linken nicht Halt mache. Oder ist es doch Sahra Wagenknecht, die sich auf Twitter an Zeiten der spanischen Inquisition erinnert fühlt?


Auch in unserem Land werden heute biedere Bürgerliche wie der Ökonom Bernd Lucke oder der CDU-Politiker Lothar de Maizière durch lautstarke und durchaus tätliche Aktivisten am Abhalten von Lehrveranstaltungen und Lesungen gehindert, als würden sie an der Machtergreifung eines neuen Hitler arbeiten. Zeitgenössische Maler werden aus Ausstellungen entfernt, erstklassige Schriftstellerinnen verlieren ihren Verlag, andere werden von Festivals ausgeladen oder Künstlern werden Veranstaltungsräume gekündigt, weil die Twitter-Inquisition ihre rechte Gesinnung enttarnt hat. Da hilft es auch nicht, dass die Betroffenen sich selbst bisher allenfalls für konservativ, in einigen Fällen sogar für links hielten.

5. Europa schafft sich ab

2010 lieferte Sarrazin mit Deutschland schafft sich ab die Mustervorlage für alle, die gern über muslimische Integrationsverweigung und linke Multikulti-Schönfärberei klagen. Aber stammt dieses Zitat von ihm oder ist es doch Wagenknecht, die hier das Scheitern der multikulturellen Gesellschaft beschwört?

Statt kleiner zu werden, vergrößerte sich so der Abstand zwischen Einheimischen und Zugewanderten. Viele Nachkommen türkischer Einwanderer in Deutschland sprechen heute schlechter Deutsch als die Kinder der »Gastarbeiter«, die in den sechziger Jahren gekommen waren. Die zunehmende Spaltung zeigt sich auch an Details. In Frankreich ist die zweite Generation muslimischer Einwanderer weniger als die erste bereit, ihre Kinder in Schulkantinen essen zu lassen. In Großbritannien tragen immer mehr Frauen mit Vorfahren aus Bangladesch einen Schleier, obwohl das in Bangladesch gar nicht üblich ist. (…) Was von vielen Linksliberalen als Multikulturalität schöngeredet wird, ist in Wahrheit das Scheitern von Integration.

6. islamistische Koran-Kindergärten

Die heimliche islamistische Unterwanderung der westlichen Gesellschaft gehört zu den beliebtesten Verschwörungserzählungen rechter Stimmungsmacher. Wer hat hier Kindergärten und Sommercamps als Instrumente des “radikalen Islamismus” entdeckt?

Der radikale Islamismus wird auch deshalb immer stärker (und gefährlicher), weil er inzwischen selbst in westlichen Ländern über ein eigenes Milieu mit einem ganzen Netz an Institutionen von Koran-Kindergärten über islamische Sommercamps für Jugendliche bis zu islamistischen Vereinen und Moscheen verfügt. Wer in einem solchen Milieu aufwächst, lebt heute weitgehend abgeschottet von der westlichen Mehrheitsgesellschaft.

7. links-islamistische Glaubenssätze

Der Mythos vom links-islamistischen Bündnis hat es sogar schon in Beiträge von Juso-Vorsitzenden auf Spiegel Online geschafft. So verwundert es nicht, dass eine entsprechende Passage auch in Wagenknechts Die Selbstgerechten auftaucht. Oder stammt dieses Zitat doch aus Sarrazins 2018 erschienenen Buch Feindliche Übernahme?

Radikalere islamistische Strömungen, etwa die Salafisten, werden zwar nicht staatlich unterstützt, aber auch sie können ihre Hassbotschaften ungestört verbreiten – vielfach unter der schützenden Hand linksliberaler Politiker. Dass sich kein Vertreter der Mehrheit anmaßen darf, die Religion einer Minderheit zu kritisieren, und sei sie noch so reaktionär, ist eben einer ihrer unumstößlichen Glaubenssätze.

8. islamfeindliche Kleiderordnung

Linke setzten sich dafür ein, dass Frauen selbst entscheiden können, welche Klamotten sie tragen. Das schließt Musliminnen mit und ohne Kopfbekleidung selbstverständlich mit ein. Was simpel klingt, sorgt bei Islamfeinden regelmäßig für Verwirrung – wie hier in Sarrazins berüchtigtem Lettre International-Interview von 2009. Oder stammt diese Aussage doch aus dem 2021 erschienenen Buch der Spitzenkandidatin der NRW-Linken Wagenknecht?

Im Ergebnis vertreten die meisten Linksliberalen zu Unterdrückungssymbolen wie dem islamischen Schleier eine Position, die sich im genauen Gegensatz zu dem befindet, was früher als links galt: Stritt man einst für ein Kopftuchverbot in öffentlichen Ämtern, um es Frauen und Mädchen aus islamischen Familien zu erleichtern, aus solchen Zwängen auszubrechen, kämpft man heute für die »Freiheit« der Frau, sich verschleiern zu dürfen, auch wenn sie etwa als Lehrerin Autorität verkörpert.

9. fremd auf dem eigenen Spielplatz

In der Welt vieler rechter Autor:innen existiert Rassismus allenfalls als Vorwurf von Linken, um Islamkritiker:innen mundtot zu machen. Es sei denn natürlich, es handelt sich um Rassismus von Migrant:innen gegen die blonde Heimatbevölkerung. Dann wird man schnell fremd auf dem eigenen Spielplatz. In wessen Buch ist dies die einzige Passage, die sich mit viel Wohlwollen irgendwie als rassismuskritisch bezeichnen lässt?

Vor allem durch das, was ihre Kinder erleben und erleiden, gewinnen sie den Eindruck, dass sie zu ›Einwanderern‹ im eigenen Viertel werden.« Sie berichten beispielsweise, wie in ihrem Viertel mittlerweile »Blondschöpfe« unter den Kindern auf einen Spielplatz am Rand des Viertels abgedrängt werden. Dass die Betroffenen das nicht als Bereicherung, sondern als Angriff auf ihre Kultur und ihre vertraute Umgebung empfinden, können wahrscheinlich nur die nicht verstehen, die in ihren schmucken Wohnquartieren, deren Buntheit sich auf das kulinarische Angebot und das Flair beschränkt, mit solchen Problemen nie konfrontiert sein werden.

10. linksislamistisches Opfergehabe

Hier steckt einfach alles drin: böse Muslime; irregeleitete Linke, die Islamisten den Weg bereiten; Opfergehabe; aufrechte Kritiker:innen, die zu Unrecht an den islamophoben Pranger gestellt werden… Von wem stammt dieses Zitat: Sarrazin oder Wagenknecht?

Und die Islamisten haben erstaunlich schnell gelernt, auf der Klaviatur des identitätspolitischen Opferdiskurses zu spielen. Wer Hassprediger kritisiert und gar Verbote fordert, steht unversehens als »islamophob« oder gar als Vertreter eines »antiislamischen Rassismus« am Pranger.

Auflösung

Ich muss mich bei euch entschuldigen. Nachdem ich mit Die Selbstgerechten durch war, hatte ich schon so viele rechte Thesen zusammen, dass es für drei Quizze gereicht hätte und einfach keine Lust mehr, mir auch noch Sarrazin anzutun. Alle Zitate in diesem Quiz stammen von Sahra Wagenknecht.

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