Islamische Repräsentanten wurden ausgeladen oder ins Publikum verbannt, deutsche Muslime zu Antisemiten und Hamas-Unterstützer verklärt. Statt Dialog zelebrierte Nancy Faesers Islamkonferenz den antimuslimischen Generalverdacht.
Handelte es sich um eine Art des politischen Gaslightings, mit dem sie die muslimische Zuhörerschaft in den Wahnsinn treiben wollte? Steckte vielleicht ein subversiv gestimmter Praktikant im Bundesinnenministerium dahinter, der durch satirische Überspitzung der von ihm formulierten Ministerinnenrede, die Scheinheiligkeit der Veranstaltung vorführen wollte? Oder ist das Haushaltsloch einfach schon so groß, dass man sich mit einer Aneinanderreihung von ChatGPT-Floskeln behelfen musste?
Über die Entstehung von Nancy Faesers Eröffnungsrede zur Islamkonferenz kann man nur spekulieren. Sicher ist: Der Vortrag der Bundesinnenministerin gehört zum Unangenehmsten, Respektlosesten und Widersprüchlichsten, was es bei der Veranstaltungsreihe bisher zu hören gab.
Dialogpartner war vom Dialog ausgeladen
20 Minuten lang hatte Faeser nahezu ausschließlich damit verbracht, Muslime und Musliminnen für Antisemitismus verantwortlich zu machen, bevor sie zu der Feststellung kam, dass man Antisemitismus nicht mit Muslimfeindlichkeit bekämpfen könne. Auf keinen Fall dürfe man Muslime in Deutschland für islamistischen Terror in Haftung nehmen, sagte die Bundesinnenministerin, nachdem sie rund ein Dutzend Mal Muslime in Deutschland in die Nähe zum Terror der Hamas gebracht hatte.
„In aller Offenheit und mit dem gebührenden Respekt“ wollen man miteinander reden, erklärte Faeser auf einer Veranstaltung, von der sie kurzfristig und ohne Begründung den prominentesten Vertreter von Muslimen in Deutschland – den Zentralrat der Muslime – ausgeladen hatte. Als „Forum des Dialogs“, in dem man „auf Augenhöhe miteinander diskutieren“ könne, beschrieb Faeser die Tagung, auf der kein einziger muslimischer Repräsentant hinter dem Rednerpult stehen oder auf einem der Podien sitzen durfte.
Muslime nur als Klischee oder Zuhörer
Für Muslime waren beim „Dialogforum“ vor allem zwei Rollen vorgesehen: Klischee oder Zuhörer. Die ganze Sache wird noch absurder, da Faesers Belehrungen auf ein Publikum trafen, das vor allem aus Muslime und Musliminnen bestand, welche sich seit Jahren wissenschaftlich, politisch oder zivilgesellschaftlich mit dem Thema beschäftigen – Menschen also, für die Antisemitismus-Bekämpfung, Extremismusprävention und interreligiösen Dialog nicht nur eine Aneinanderreihung von Floskeln ist.
Kurzgefasst: Nancy Feasers Eröffnungsrede zu einer Tagung, die sich ursprünglich mit dem Thema „Muslimfeindlichkeit“ befassen wollte, bestand zum größten Teil aus Muslimfeindlichkeit.
Das vielleicht größte Kuriosum war aber: Faeser selbst schien bei all dem gar keinen Widerspruch zu empfinden. Das mag auch daran liegen, dass ihre Rede zwar in sich keinen Sinn ergab, sich andererseits aber doch widerspruchsfrei in die Diskursverschiebung der letzten Wochen einreihte.
Stigmatisierung und Pauschalisierung wie durch Faeser sind Muslime von rechter Seite schon seit Jahrzehnten in Deutschland ausgesetzt. Aber spätestens seit der viel bejubelten Rede von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zu „Israel und Antisemitismus“ scheint der Generalverdacht gegenüber Muslimen nun auch zur offiziellen Regierungspolitik der selbst erklärten „Fortschrittskoalition“ zu werden.
Staatlicher Generalverdacht
Wie ihr Kabinettskollege forderte auch die Bundesinnenministerin muslimische Verbände auf, sich von der Hamas zu distanzieren. Dabei vergaß sie jedoch zu erklären, was die gescholtenen deutschen Personen und Organisationen überhaupt mit dem Krieg in Nahost zu tun haben. Wie Habeck ignorierte auch Faeser außerdem den Umstand, dass sich alle relevanten islamischen Organisationen bereits mehrmals und nachdrücklich vom Terror der Hamas distanziert hatten.
Wie der grüne Vize-Kanzler, der drohte, Muslime, die sich nicht genügend vom Antisemitismus distanzieren, könnten ihren „Anspruch auf Toleranz“ verlieren, offenbarte auch SPD-Ministerin Faeser ein bedenkliches Rechtsstaatsverständnis. Stolz verwies sie auf die Razzien gegen das Islamische Zentrum Hamburg und über 50 andere muslimische Einrichtungen vergangene Woche. Nur welche Straftaten genau den Beschuldigten eigentlich zur Last gelegt werden, verriet die Bundesinnenministerin auch diesmal nicht.
Ein paar unspezifische Andeutungen rund um „Antisemitismus“ und „Islamismus“ reichen dieser Tage schon als Begründung dafür aus, dass hunderten Polizisten Moscheen stürmen und eine ohnehin schon marginalisierte und diskriminierte religiöse Minderheit weiteren öffentlichen Spekulationen und Verdächtigungen ausgesetzt wird.
Dialogforum gesucht
Dabei wäre gerade an diesen Zeiten, in denen jüdische, muslimische und andere marginalisierte Menschen in Deutschland eine beispiellose Welt an Gewalt, Hass und Verdächtigungen erleben, ein Forum wie die Islamkonferenz so wichtig. Nicht als Instrument einer zunehmend autoritären deutschen Islampolitik, die Islam in Deutschland auf ein Sicherheitsproblem reduziert. Nicht als Ort, an den muslimische Gemeinden von Amtswegen mitgeteilt wird, was sie in ihre Moscheen zu predigen und auf ihren Social-Media-Kanälen zu posten haben. Nicht als Ort paternalistischer, schulmeisterlicher Belehrungen.
Gesucht wird eine Islamkonferenz, in der Akteure aus unterschiedlichsten Bereichen der Gesellschaft, gleichberechtigt und gemeinsam daran arbeiten, die Situation für alle in Deutschland lebenden Menschen zu verbessern. Ein Ort, an dem vielfältige Expertisen, Zugänge, Erfahrungen und Perspektiven gebündelt werden können, um den rassistischen, antisemitischen und anderen menschenfeindlichen Diskursverschiebung dieser Tage etwas entgegen zu setzen. Eine Islamkonferenz wie in ihren eigenen Pressemitteilungen.
Faeser distanzierte sich vom eigenen Bericht
Das besonders Ärgerliche an all dem: Eine der besten Grundlagen, viele der aktuellen Problem schnell und wirksam anzugehen, liegt bei Nancy Faeser in der Schublade. Der vom Bundesinnenministerium einberufene „Unabhängige Expertenkreis Muslimfeindlichkeit“ (UEM) hatte im Juni auf 400 Seiten eine Art Blue-Print für die Gleichberechtigung von Muslimen in Deutschland vorgelegt: kritisch, wissenschaftlich fundiert und praxisnah. Um die Umsetzung dieses Berichts sollte es bei der Islamkonferenz eigentlich gehen.
Doch als sie nach über 20 Minuten Muslimfeindlichkeit dann auch endlich kurz auf „Muslimfeindlichkeit“ und den Bericht darüber zu sprechen kam, distanzierte auch Feaser sich: Nicht von Muslimfeindlichkeit, sondern vom Bericht darüber. „Ich teile ausdrücklich nicht jede Aussage, die der UEM in seinem Bericht trifft.“ So einfach lassen sich zwei Jahre wissenschaftliche Arbeit und hunderte wichtige Erkenntnisse und Empfehlungen auf Basis von dutzenden Studien und Gutachten, auf eine Frage persönlicher Meinung reduzieren.
Noch etwas länger brauchte Faeser nur noch, bis sie endlich auch jene Bevölkerungsgruppe erwähnte, die nach wie vor für den Großteil muslimfeindlicher und antisemitischen Straftaten in Deutschland verantwortlich sind. Deutsche Rechtextremisten seien „eine der größten Bedrohungen für unsere Demokratie“, stellte Faeser pflichtschuldig gegen Ende einer Rede fest, in der sie zuvor alles dafür getan hatte, diese Wahrheit zu verschleiern.
Immerhin ein Satz aus Nancy Faesers Eröffnungsrede war dann aber doch gelungen. Zumindest um mit ihn Nancy Faesers Auftritt bei der Islamkonferenzen selbst zusammenzufassen:
„Wer jetzt Stimmung gegen Muslime macht unter dem Vorwand der Bekämpfung von Antisemitismus, der will uns spalten und nicht einen. Das Wohl der Jüdinnen und Juden haben diese Menschen sicher nicht im Sinn.“
Das Aufmacherbild zeigt das Gemälde “Paar im Gespräch” des österreichischen Malers Simon Glücklich.
Der Text erscheint in ähnlicher Form auch in der aktuellen Ausgabe der Islamischen Zeitung.