Islamunterricht. Für die einen Beweis der vermeintlichen Islamisierung. Für die anderen der Beleg, dass es mit der Anerkennung muslimischen Lebens in Deutschland noch ein weiter Weg ist. In der Realität verbergen sich hinter dem Begriff ganz unterschiedliche Dinge. Denn wie in anderen Bildungsfragen auch, geben die 16 Bundesländer völlig verschiedene Antworten auf die Frage nach einem bekenntnisorientierten Unterricht für Muslime.
Warum gibt es überhaupt (islamischen) Religionsunterricht?
Die einfachste Antwort auf die Frage: Weil er in der Verfassung der Bundesrepublik steht. In Artikel 7, Absatz 3 des Grundgesetzes heißt es:
Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.
Die Antwort auf die Frage, wie die Bestimmung dorthin geraten ist, führt in die Vergangenheit: Bei der Ausarbeitung der Weimarer Verfassung von 1919 stritten sich Sozialisten und die Katholiken der Zentrumspartei um den Platz, den zukünftig Religion im Bildungssystem einnehmen sollte. Die einen wollte die Religion ganz aus der Schule verbannen, die anderen wollten nach Konfessionen getrennte Schulen. Der Kompromiss von 1919 steht bis heute im Grundgesetz.
Die Parteien der Weimarer Zeit haben uns damit auch einen bis heute anhaltenden Streit über die Sinnhaftigkeit Unterrichts hinterlassen, über dessen Ausgestaltung nicht der Staat, sondern Religionsgemeinschaften bestimmen.
Für wen gibt es Religionsunterricht?
Auch in Zeiten von leeren Kirchen und Ethik-Unterricht besuchen Millionen Kinder den bekenntnisorientierten Unterricht. Und nicht nur katholische und evangelische: An deutschen Schulen finden sich Angebote für Buddhisten, Juden, Adventisten, Griechisch- und Syrisch-Orthodoxe, Altkatholiken und sogar für die freikirchliche Mennoniten-Bewegung.
Islamischer Religionsunterricht bildet da gleich in mehrerer Hinsicht eine Ausnahme: Weil es ihn trotz großer Nachfrage in vielen Teilen des Landes nach wie vor gar nicht gibt. Weil er dennoch der einzige ist, dessen Teilnehmerzahlen über die vergangenen Jahre stark gestiegen sind. Vor allem aber, weil über den Unterricht keiner anderen Konfession in Politik und Öffentlichkeit so vehement gestritten wird.
55.000 muslimische Mädchen und Jungen besuchen derzeit irgendeine Form des islamischen Religionsunterrichts. Das ergab eine Umfrage des Mediendienstes Integration bei den Kultusministerien der 16 Bundesländer.
Das sind viele, vergleicht man die Zahl mit den nur 42.000 Schülerinnen und Schülern, die solche Angebote noch vor zwei Jahren in Anspruch nahmen. Das sind sehr wenig, blickt auf den Bedarf von rund 650.000 Plätzen, den eine Studie im Auftrag der Islamkonferenz schon 2008 ermittelte.
Wo islamische Religionsgemeinschaften für den Unterricht sorgen
Die oben genannten Zahlen verschleiern allerdings, dass sich hinter dem Schlagwort “Islamischer Religionsunterricht” sehr unterschiedliche Konzepte verbergen. Grob lässt sich der Umgang der 16 Länder in drei Kategorien einteilen: Da sind die Vorreiter, in denen islamischer Religionsunterricht unter Schirmherrschaft islamischer Organisationen bereits stattfindet. Da sind jene, die unterschiedliche Formen der Kooperationen in Modellversuchen testen. Und da sind die, die sich komplett verweigern.
Legt man den Maßstab des Grundgesetzes an, gibt es bisher nur in einem einzigen Bundesland Islamunterricht: Hessen. Nur dort ist „Islamische Religion“ ordentliches Unterrichtsfach für rund 3.000 Schülerinnen und Schüler. Für das Angebote sorgen die Ahmadiyya-Gemeinde und Ditib. Mit Blick auf den Vorwurf politischer Abhängigkeit vom türkischen Staat überlegt die hessische Landesregierung allerdings derzeit dem Verband türkischer Moscheevereine das Angebot wieder zu entziehen.
Diskussionen gibt es auch in Niedersachsen, wo neben Ditib die “Schura Niedersachsen” für den islamischen Religionsunterricht verantwortlich ist. Der Verband ist ein Zusammenschluss aus fast 100 Organisationen, der eigens zu diesem Zweck gegründet wurde.
In Berlin, wo die Teilnahme am Religionsunterricht generell freiwillig ist, ist seit 2001 die “Islamische Föderation” für den Islamunterricht verantwortlich. Dahinter steckt der Berliner Ableger der Milli Görüs-Bewegung.
Wo der Islamunterricht erprobt wird
Das Land, in dem derzeit die knapp 20.000 meisten muslimischen Schüler Religionsunterricht besuchen können, ist eines, in dem er als ordentliches Unterrichtsfach noch gar nicht eingeführt ist: Nordrhein-Westfalen. Für die Inhalte sorgt in dem Modellversuch ein Beirat, der zur Hälfte aus Vertretern islamischer Verbände besetzt wird, zur Hälfte vom Schulministerium bestimmt wird. Eine Klage des Zentralrats der Muslime und des Islamrats, die auf mehr Mitsprache drängten, wurden im November 2017 vom Oberverwaltungsgericht abgelehnt.
Sowieso ist „Modellversuch“ wohl der Begriff, den man im Zusammenhang mit islamischen Religionsunterricht am häufigsten liest. Auch im Saarland und Rheinland-Pfalz testet man derzeit die Kooperation mit islamischen Verbänden und Moscheegemeinden. Behörden kooperieren hier mit einem Mix aus islamischen und interkonfessionellen Vereinen.
Viele der Modellprojekte laufen im Juli 2019 allerdings aus. Wie es danach weitergeht, ist ungewiss. In Rheinland Pfalz riet zuletzt ein von der Landesregierung in Auftrag gegebenes Gutachten von der Kooperation mit Islamverbänden ab.
In Baden-Württemberg hat die Landesregierung nach jahrelanger Kooperation mit Eltern und lokalen Moscheegemeinden zu Beginn dieses Jahres ein neues Konzept vorgelegt. Unter Trägerschaft des Landes soll sich eine neu gegründete Stiftung ab dem kommenden Schuljahr um den Unterricht kümmern. Eine Idee, die der Moscheeverband Ditib umgehend als verfassungswidrig ablehnte.
In welchen Bundesländern gibt es keinen Islamunterricht?
In Bayern und Schleswig-Holstein verweigert man sich komplett der Zusammenarbeit mit den religiösen Organisationen. Stattdessen wird der islamische Religionsunterricht dort ganz vom Staat ausgestaltet. In Bayern, das 1987 mit der “religiösen Unterweisung für türkische Schüler muslimischen Glaubens” als einer der ersten einen Islamunterricht einführte, wurde der staatliche islamische Unterricht im März 2019 verlängert.
Noch ernüchternder sieht es für die islamischen Religionsgemeinschaften im Osten der Republik aus. Weder in Brandenburg, Thüringen, Sachsen-Anhalt oder Sachsen gibt es irgendeine Art von islamischem Religionsunterricht. Verantwortliche Politiker verweisen hier meist auf den geringen muslimischen Bevölkerungsanteil in ihren Ländern.
Ein Argument, das Kritiker zum Beispiel mit Verweis auf das Saarland entkräften: Dort reichen insgesamt 17 Kinder für einen eigenen jüdischen Religionsunterricht. Auch in Berlin wird der buddhistische Religionsunterricht von nur 15 Schülerinnen und Schülern besucht.
Einzig Hamburg und Bremen schaffen es sich der Diskussion ganz zu entziehen. In den beiden Stadtstaaten gibt es überhaupt keinen Religionsunterricht im klassischen Sinn. Statt eines nach religiösen Bekenntnissen getrennten Angebots besuchen Schüler und Schülerinnen dort einen interkonfessionellen Unterricht für alle.
Das Aufmacherbild stammt vom österreichisch-französischen Maler Ludwig Deutsch aus dem Jahr 1889 und zeigt einen Lehrer mit seinem Schüler in Kairo. Ob Behörden oder Religionsgemeinschaften den Lehrplan für die beiden vorgaben, ist nicht überliefert.
2 Kommentare On So steht es um den Islamunterricht in Deutschland
Denke, dass Religionsunterricht als Glaubensunterweisung nicht in die Schulen gehört.
Plädiere statt dessen für das gemeinsame Schulfach Ethik/Philosophie/Lebenskunde in dem auch die Vielfalt von
Religionen zur Sprache kommen sollten. Ein solches Fach dürfte auch dem direkten Austausch von SchulerInnen
über ihre eigene Religions- u. Weltanschauung förderlich sein.
Wie denken Sie darüber?
Für alle Schüler sollte es, neben dem normalen Religionsunterricht, verpflichtend ein Fach für “Kunde anderer Religionen” geben, damit auch die nichtmuslimischen Kinder das Verständnis und den Zugang zum Islam erhalten. Nur so können Vorurteile über das Fasten, das Kopftuchtragen, etc. abgebaut werden.