Eine Expertenkommission hier, ein Gutachten dort, im besten Fall ein Modellversuch an einer Handvoll Schulen. Und wieder ein paar Monate Funkstille. So geht das schon seit Jahren. Diskussionen über die Einführung islamischen Religionsunterrichts gehören zu jenen politischen Debatten, die immer wiederkehren und dennoch nicht vorankommen: Schadet oder nützt er der Integration? Wer garantiert die Verfassungstreue der Inhalte? Ein Mittel gegen Extremismus oder Ausdruck der Islamisierung? Und ist Reli nicht sowieso überholt?
So wichtig diese Fragen auch sind, eine wenig diskutierte Antwort ist es nicht minder: Grundgesetz Artikel 7 Absatz 3. Der Religionsunterricht in „Übereinstimmung mit den Grundsätzen der jeweiligen Religionsgemeinschaften“ ist „ordentliches Lehrfach“, heißt es dort. Von einer Ausnahme für Muslime steht da nichts. Doch mit der eigenen Verfassungstreue nehmen es viele Landespolitiker offenbar nicht so genau.
Die Ausflüchte, warum hunderttausende muslimische Schulkinder auf den Unterricht verzichten müssen, sind so zahlreich wie die Modellversuche, die dann doch nicht zur Regel wurden: Es gebe schlicht zu wenig Muslime in ihren Bundesländern. Ein Blick ins Saarland reicht, um die Ausrede vieler ostdeutscher Landespolitiker als solche zu entlarven. Dort organisiert die örtliche Synagogengemeinde den jüdischen Religionsunterricht: für insgesamt 17 Kinder. Die Teilnehmerzahl des buddhistischen Religionsunterrichts in Berlin im letzten Schuljahr: 15. Zum Vergleich: In ganz Mecklenburg Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen gibt es zwar zehntausende muslimischer Schülerinnen und Schüler aber keine einzige Stunde Islamunterricht.
Der Islam sei zu vielfältig, lasse sich anders als das Christentum nicht in das System zweier großer Kirchen pressen. Das stimmt und ist dennoch gleich doppelt verlogen: Denn zum einen gilt das auch für Griechisch- und Syrisch-Orthodoxe, Altkatholiken, Mennoniten und andere Freikirchler, die dennoch nicht auf ihren eigenen Religionsunterricht verzichten müssen.
Zum anderen ignoriert das Argument die zahlreichen Versuche der muslimischen Community, dem deutschen Staat seinen gewünschten Ansprechpartner zur Verfügung zu stellen. In Hamburg und Niedersachsen schlossen sich Moscheevereine zu Schuras zusammen. In NRW sitzen muslimische Vertreter unterschiedlichster Hintergründe in Islamunterricht-Beiräten. Auf Bundesebene gründeten die größten Verbände den Koordinationsrat der Muslime.
Gebracht haben diese Versuche wenig. Außer vielleicht die Gewissheit, dass auch der Verweis auf die vermeintlich fehlende Verfassungstreue nur vorgeschoben ist: Denn zum einen ist auch der bekenntnisorientierte Unterricht nicht staatlicher Kontrolle entzogen.
Vor allem aber hat die Praxis längst gezeigt, dass es funktionieren kann: In Hessen, wo es an einigen wenigen Schulen bisher den einzigen regulären islamischen Religionsunterricht gibt, verantworten zwei so unterschiedliche islamische Gruppierungen wie die indisch-stämmige Ahmadiyya-Gemeinde und der viel diskutierte Dachverband türkischer Moscheevereine Ditib den Islamunterricht. Das Ergebnis: Zwei nahezu identische Angebote, mit denen Eltern und Bildungsexperten gleichermaßen zufrieden sind.
Bleibt die Frage, was Religion überhaupt an staatlichen Schulen zu suchen hat. Es stimmt schon, ein Unterricht aus der Hand religiöser Gruppen wirkt wie ein Relikt vergangener Zeiten. Der Meinung waren viele Politiker übrigens auch schon bei der Einführung des Religionsunterrichts im Jahr 1919. Man kann darüber diskutieren, ob dieses Überbleibsel christlicher Bekenntnisschulen noch in die heutige Zeit passt. Aber so lange sich keine politische Mehrheit findet, um Artikel 7 Absatz 3 aus dem Grundgesetz zu streichen, gilt: gleiches Recht für alle.