Die kleinen Schwestern der Hagia Sophia

Die Aufregung über die Umwidmung der Hagia Sophia scheint keine Grenzen zu kennen: Als „Schlag gegen die Allianz der Zivilisationen” bezeichnete Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn die Pläne der türkischen Regierung. Von einem “zutiefst provokanten Akt gegen die internationale Gemeinschaft“ sprach Griechenlands Präsidentin Katerina Sakellaropoulou. Und in Deutschland deutete der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde in Deutschland Ali Ertan Toprak das Vorhaben sogar als „Kriegserklärung an den Westen“.

Um die Frage, ob die Empörung über die Umwidmung des Gebäudes, in dem seit seiner Eröffnung im Jahr 537 schon nach römischen (bis 1054), orthodoxen (bis 1204), katholischem (bis 1261), wieder orthodoxen (bis 1453) und islamischen Ritus (bis 1935) gebetet wurde und das seitdem ein Museum beheimatet, angemessen ist, soll es in diesem Text allerdings nicht gehen.

Stattdessen handelt er von einigen der vielen anderen religiösen Gebäuden, in denen einmal Gläubige anderer Konfessionen beteten. Denn auch wenn die Empörung im Fall der Hagia Sophia wohl einmalig ist, die Umwidmung von Gotteshäusern ist es nicht: Mal sind solche Umwidmungen Instrument der Unterdrückung gegenüber Gläubigen, mal ein Mittel, um Gläubigen mehr Platz zu verschaffen. Mal steckt hinter ihnen Macht- und Sympolpolitik. Mal geht es einfach darum, ein Gebäude vor dem Verfall zu retten.

Andalusien ist voll mit Kirchen, die einmal Moscheen waren

Der neben der Hagia Sophia wahrscheinlich berühmteste solche Fall ist die Mezquita-Catedral de Córdoba. Deren ungewöhnliche Bezeichnung „Moscheekathedrale“ deutet schon auf ihre wechselhafte Geschichte hin. Im 9. Jahrhundert als Moschee gebaut wurde das Gebäude nach Vertreibung der muslimischen und jüdischen Bevölkerung von der Iberischen Halbinsel im 13. Jahrhundert zur katholischen Kirche umgewidmet.

Die einstige Hauptmoschee des maurischen Spaniens ist heute eine Kirche. Foto: Toni Castillo Quero/ CC2.0

Ohne viel Rücksicht auf das islamische Erbe zu nehmen und gegen den Protest der lokalen Bevölkerung begann im 16. der Umbau zu einem Kirchengebäude. Forderungen, das muslimische Erbe stärker zu bewahren und das Gebäude auch als interreligiösen Ort zu verstehen, werden bis heute vom Bischof von Cordoba, Juan José Asenjo, abgelehnt.

Ähnlich erging es auch der Moschee, auf deren Ruinen, die berühmte Kathedrale von Sevilla bebaut wurde. Von dem 1184 gebauten islamischen Gebäude ist heute nur noch das Minarett übrig, das der Kathedrale als Glockenturm dient.

Auch hier beteten früher einmal Muslime: die Kathedrale von Sevilla. Foto: Ingo Mehling/ CC4.0

Opfer der Reconquista wurden in Andalusien aber nicht nur Moscheen: In der katholischen Kirche Santa María la Blanca in Toleda steckte einmal eine Synagoge mit dem Namen Ibn Shushan. Nach der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung wurde das 1180 erbaute Gebäude im Jahr 1405 zur Kirche umgewandelt.

Mit den Muslimen verschwanden in Griechenland und auf dem Balkan auch ihre Moscheen

Auch außerhalb der Iberischen Halbinsel findet man in Europa zahlreiche umgewidmete Gotteshäuser: vor allem auf dem Balkan und im Mittelmeerraum. Die Agios Titos auf Kreta ist so eine. Von den Osmanen Ende des 19. Jahrhunderts als Moschee gebaut, wurde sie nach der Vertreibung der muslimische Bevölkerung in den 1920ern zur orthodoxen Kirche.

Früher islamisch, seit 1925 griechisch-orthodox: die Agios Titos auf Kreta. Foto: Jebulon/ CC1.0

Auf eine ähnliche Geschichte blickt die Agios Nikolaos in der Stadt Kabala im Norden Griechenlands zurück. 1530 wurde das Gebäude als Ibrahim-Pascha-Moschee fertiggestellt. Nach der Vertreibung der muslimischen Bevölkerung Anfang des 20. Jahrhunderts stand das Gebäude leer, bis es 1945 zur Kirche geweiht wurde.

Auch die Kirche der heiligen Erzengel Michael und Gabriel im rumänischen Brăila war einmal eine Moschee. Gebaut in osmanischer Zeit, wurde sie, nachdem Russland die Kontrolle über die Region übernommen hatte, im Jahr 1808 zur Kirche.

Die Dorfbewohner wollten sie eigentlich abreißen: die frühere Moschee und heutige Kirche Mariä Himmelfahrt im bulgarischen Usundschowo. Foto: Bin im Garten/ CC3.0

Dass durch Umwidmung religiöse Gebäude auch gerettet werden können, zeigt die orthodoxe Kirche Mariä Himmelfahrt im bulgarischen Usundschowo. Die von den Osmanen gebaute Moschee wurde 1906 zur Kirche geweiht. Sehr zum Missfallen der örtlichen Bevölkerung, die das Gebäude lieber zerstören wollte

In Deutschland wurden aus Synagogen Kirchen

Auch in Deutschland findet man Gotteshäuser, in denen früher einmal Angehörige anderer Religionen beteten. Hier traf es Synagogen, die nach dem der NS-Zeit zu Kirchen umgeweiht wurden.

Bis 1952 beteten hier noch Juden: Die Neuapostolische Kirche in Eschwege. Foto: Sipalius/ CC3.0

Die Synagoge im hessischen Rimbach überstand zwar die Novemberprogrome von 1938, doch wurde die jüdische Gemeinde gezwungen, das Gebäude zu verkaufen. Erst wurde die Synagoge zum Gerätehaus für die örtliche Feuerwehr, bis 1952 die Katholische Kirche einzog.

Ähnlich erging es der Synagoge im hessischen Eschwege. Bis 1952 beteten hier noch Juden. Dann kaufte die neuapostolische Kirchgemeinde das Bauwerk auf und funktionierte es zur Kirche um.

Erst Synagoge, dann Waffenlager, heute Kirche. Foto: Public Domain

Eine Synagoge stand auch einmal im baden-württembergischen Rexingen. Das Anfang des 18. Jahrhunderts errichte Gebäude brannte während der Novemberpogrome vollständig aus. Während des Krieges diente sie als Lager einer örtlichen Waffenfabrik, bis auch sie 1952 zur Kirche umgeweiht wurde.

Kirchen in denen man essen und klettern kann

Aufgrund schrumpfender Gemeinden und leerer Gottesdienste sind im heutigen Deutschland vor allem Kirchen von Umwidmungen betroffen. Hinter dem Namen „Die Kirche“ verbirgt sich in Magdeburg beispielsweise kein Gotteshaus, sondern ein Restaurant, das seit Mitte der 1990er einen verlassenen Kirchbau nutzt.

Im Fall der Kornmarktkirche im thüringischen Nordhausen liegt der letzte Gottesdienst schon etwas länger zurück. Im im 13. Jahrhundert gebauten Gebäude wird schon seit 1802 nicht mehr gebetet. Stattdessen fanden hier schon ein Getreidespeicher, Büroräume und Wohnungen Platz. Seit 2003 beheimatet das Gebäude ein Museum zu Reformation und Bauernkrieg.

https://twitter.com/AgaundDeti/status/880191214024368128

Von einer besonders kreativen Möglichkeit der Weiterverwendung zeugt die Kletterkirche in Mönchengladbach. Die in den 1930ern gebaute katholische Kirche ist seit 2010 eine Kletterhalle.

Für die Umwidmung einer Kirche zu einer Moschee gibt es in Deutschland bisher nur ein Beispiel: die 1958 gebaute Kapernaumkirche in Hamburg-Horn. Nach einer Gemeindefusion im Jahr 2004 stand das Gebäude jahrelang leer. 2012 erwarb die islamische Al-Nour Gemeinde das Gebäude und wiedereröffnete es im Jahr 2018 als Moschee. Die Gemeinde hatte sich zuvor in einer umgewidmeten Tiefgarage getroffen.

[Das Aufmacherbild zeigt die “Mezquita de Córdoba”. Gemalt hat sie der britische Orientalismus-Maler John Frederick Lewis im Jahr 1836.]

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1 Kommentare On Die kleinen Schwestern der Hagia Sophia

  • Es ist ein falsches Bild, das von diesem Artikel gezeichnet wird.
    Natürlich sind Gebäude, auch kirchliche, schon umgewidmet worden.
    Es geschah und geschieht immer dann, wenn es notwendig erscheint.
    Ich halte die obige Erwähnung der Reconquista für besonders bemerkenswert. Denn da geschah genau das, was ja mit der Hagia Sophia auch geschieht.
    In ihr mögen, vor der Eroberung Konstantinopels, durch den Islam, römische oder griechische Gottesdienste stattgefunden haben. Immer waren es christliche Gottesdienste.
    Dann kam der Islam. Die Osmanen, wie es ein, mir befreundeter Taxifahrer in Istanbul ausdrückte, und widmeten diese Kirche um.
    Es war der Gründer der modernen Türkei – die mit der Türkei Erdogans nichts zu tun hat – der ein Museum daraus machte, weil er den Islam als etwas erkannt hatte, was die angestrebte Verbindung mit der westlichen Zivilisation, nicht fördern würde.
    Was wir jetzt erleben, ist nichts, was man leichthin abtun kann. Es ist, in gewisser Weise, islamische Reconquista.
    In meinen Augen ein Hinweis, was, unter gegebenen Umständen, auch anderen Orten passieren würde, wenn der Islam die Kraft und die Macht dazu hätte.

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