Liebe EU, ich soll dir von einem Bekannten aus Idomeni ausrichten, dass du dich mal f***** kannst. (sinngemäß übersetzt). Er sagt, du hättest ihn vergessen, neulich bei deinem Flüchtlingsabkommen mit der Türkei. Seit drei Wochen wartet er hier in diesem Abgrund aus Schlamm, Lungenentzündung und überlaufenden Dixie-Klos auf eine Nachricht von dir. Und du schweigst.
Dieser Freund besitzt nicht viel mehr als einer Plastikplane, ein paar Pappkartons und einen Topf voll mit Linsensuppe. Letzterer ist auch der Grund, warum wir uns kennengelernt haben. Denn Idomeni ist nicht nur das nächste Beispiel dafür, dass auf dein Versagen immer dann Verlass ist, wenn deine vermeintlichen Werte auf die Probe gestellt werden (Mellila, Lampedusa, Lesbos, Calais…). Idomeni ist auch ein Ort unglaublicher Gastfreundschaft.
Liebe EU, ich weiß nicht, wie oft mich die Flüchtlinge in Idomeni zu Tee, Essen und Übernachtung eingeladen haben. Ein paar Dutzendmal mit Sicherheit. Auch am Tag, nachdem du sie einmal mehr im Stich gelassen hat. Dass er deinen Funktionären nicht einmal eine Erwähnung wert war, ist für meinen Freund und die anderen Flüchtlinge nur schwer zu ertragen: Ein Afghane drohte sich die Kehle durchzuschneiden. Eine junge syrische Mutter hielt mir ihr weinendes Kind entgegen und schrie mich immer wieder an, wie ich ihrer Tochter das nur antun könnte.
Wut, Resignation, Drohungen, Hoffnungslosigkeit, Nichtwahrhabenwollen, Apathie, Verzweiflung… waren die Reaktionen, als ich in den letzten Abenden versucht habe, mich jener Frage zu widmen, deren Beantwortung du nach deinem Gipfel in Brüssel mal wieder vergessen hast: Was nun mit den über 10.000 Menschen hier passieren soll?
Jeden Tag versuche ich den Menschen halbwegs einfühlsam zu erklären, dass dir bei deinem Gipfel in Brüssel wirklich rein gar nichts Hoffnungsmachendes eingefallen ist. Aber wie einfühlsam kann man Leuten beibringen, dass sie auf unbestimmte Zeit ihre Brüder, Mütter, Kinder, die es schon nach Deutschland geschafft haben, nicht wiedersehen werden? Dass sich deine Beamten in irgendeinem Brüsseler Besprechungsraum darauf geeinigt haben, die Menschen hier zu einem Leben als Bittsteller in überfüllten griechischen Sammelunterkünften oder als Bettler unter einer türkischen Autobahnbrücke zu verdammen.
„Was!? Die sollen doch in Syrien ihr Land verteidigen… in der Türkei sind die doch in Sicherheit… in Griechenland gibt’s auch Asyl…“, nähert sich das Empathielosigkeit zelebrierende Hintergrundrauschen der üblichen Rassisten schon wieder der Kommentarfunktion dieses Posts. Von euch habe ich den Leuten in Idomeni auch erzählt: Einem Apotheker aus Syrien zum Beispiel. Im Homser Stadtteil Baba Amr hatte er seine Familie monatelang im Keller versteckte, um ihr Leben zu retten. In der Türkei hat er sich zwei Jahre lang 15 Stunden am Tag ausbeuten lassen, um die Fahrt nach Europa zu finanzieren, von der er hoffte, sie möge seine Kindern einen Bruchteil jener Lebensqualität zurückholen, die sie vor dem Krieg in Syrien hatten.
Und selbst jetzt versucht er auf 3,5 Quadratmeter durchweichter Plastikfolie seiner Familie jene Würde zu bewahren, die du – liebe EU – ihm so unnachgiebig versuchst zu nehmen. Mehr noch als deine politischen Entscheidungen, ist es deine Empathielosigkeit, welche ihn und die anderen Flüchtlinge in Idomeni so entsetzt. Vielleicht auch, weil sie diese auch ihrem Leben nicht kennen.
Liebe EU, vielleicht wären deine Bürger und Funktionäre mitfühlendere Menschen, wenn jeder von ihnen auch einmal in Idomeni an der Weiterreise gehindert werden würde. Nein, nicht wegen des Schlamms, der Kälte und den Lungenentzündungen. Sondern um bei einer Einladung zu einem Becher angebrannten Linsensuppe einmal tatsächlich jene Werte zu erleben, die keine falschere Bezeichnung tragen könnten als „europäisch“.
1 Kommentare On Post aus Idomeni: Fick dich, EU!
Oh wie traurig dein Schicksal doch ist, ich stehe gleich auf und gehe Stunden lang arbeiten für dich und all die Millionen anderen, LG