Islam-Bilanz der Ampel: Die Rückschrittskoalition

Sicherheit, Gleichberechtigung und Teilhabe hatte die Ampel Muslimen in Deutschland versprochen. Geliefert hat sie Ausgrenzung, Abschiebungen und die Unterstützung eines Völkermords.

Zum Schluss gab es noch einmal den ausgestreckten Stinkefinger an alle, die die Hoffnung an Gleichberechtigung in Deutschland noch nicht völlig aufgegeben haben. Einen Tag nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz am 6. November 2024 das vorzeitige Aus der Ampel-Regierung verkündete, erklärten SPD, Grüne und FDP gemeinsam mit CDU/CSU und AfD noch ein letztes Mal deutsche Muslime zum Problem. Mit der am 7. November verabschiedeten Bundestag-Resolution „Nie wieder ist jetzt“ sollte eigentlich jüdisches Leben geschützt werden. Tatsächlich tat die Ampel aber auch diesmal nur, was sie in den letzten drei Jahren perfektioniert hatte: eine autoritäre und ausgrenzende Politik auf Kosten der Schwächsten.

Formulierungen vom „importierten Antisemitismus“ und Maßnahmen, die Judenfeindlichkeit vor allem mit Verschärfungen im Aufenthalts-, Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht bekämpfen sollen, hatten in ihrer AfD-Variante vor 2021 noch zurecht für lautstarken Protest von SPD, Grünen und FDP gesorgt. Nun wurden die von Menschenrechtsorganisationen, Juristinnen und Kulturschaffenden einhellig kritisierte Resolution unter Applaus jener Regierung verabschiedet, die sich keinen irreführenderen Namen hätte geben können als „Fortschrittskoalition.“ Nur das BSW widersetzte sich der Großen Koalition des anti-muslimischen und anti-migrantischen Generalverdachts.

Ringen um Teilhabe und Gleichberechtigung in Deutschland um Jahrzehnte zurückgeworfen

Autoritarismus, Migrationsfeindlichkeit, anti-muslimischer Rassismus und die bedingungslose Unterstützung einer mörderischen und rechtsextremen israelischen Regierung. Das sind einige der Dinge, wofür die Ampel in Erinnerung bleiben wird. Mit einer kaum für möglich gehaltenen Vehemenz und Konsequenz haben SPD, Grüne und FDP das Ringen um Teilhabe und Gleichberechtigung in Deutschland um Jahrzehnte zurückgeworfen.

Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit, Migrations- und Asylpolitik, Schutz vor Gewalt und Diskriminierung: In all diesen Fragen stehen Geflüchtete, Muslime, arabischstämmige und viele weitere Menschen in Deutschland heute schlechter da als vor der Ampel. Der „zunehmenden Bedrohung von Musliminnen und Muslimen und ihren Einrichtungen“ wolle man mit „umfassendem Schutz, Prävention und besserer Unterstützung der Betroffenen“ begegnen. Das war eines von vielen Versprechen, das SPD, Grüne und FDP den rund sechs Millionen muslimischen Menschen in Deutschland im November 2021 in ihrem Koalitionsvertrag gegeben hatten. Getan haben sie das Gegenteil.

Schutzsuchende nur als Belastung oder Bedrohung

Dass an dem Versprechen nicht viel dran ist, merkte man als zu aller erst in der Migrationspolitik. Flüchtlinge tauchten in der Politik der Bundesregierung von Beginn an fast nur als Belastung und Bedrohung auf. Diskurse rund um Ausgrenzung und Stigmatisierung von Schutzsuchenden prägten die gesamte Legislaturperiode der Ampel. Mit den mittlerweile zum Spottbegriff gewordenen „großen Bauchschmerzen“ billigten die Grünen im Juni 2023 den sogenannten EU-Asylkompromiss und damit eine repressive

Migrationspolitik, von der vor einigen Jahren noch nicht einmal die AfD geträumt hatte. Als SPD, Grüne und FDP das Gesetz abgesegneten, hagelte es Kritik durch Menschenrechtsorganisationen. Doch die Ampel machte genauso weite. „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“, forderte Olaf Scholz im Oktober 2023 auf dem Cover des Spiegel. Kurz darauf verabschiedete die Ampel ihr „Rückführungsgesetzes“ – wieder hagelte es Kritik von Menschenrechtsorganisationen. Wieder vergeblich. Im August 2024 fiel dann selbst das Tabu, Menschen in Kriegsgebiete abzuschieben. Pünktlich zum Wahlkampffinale in Thüringen und Sachsen landete der Abschiebeflieger in Kabul.

Die Chance für echte Teilhabe und Gleichberechtigung war so groß wie nie

Nach Maßnahmen, die Teilhabe und Gleichberechtigung von Menschen in Deutschland verbessern, muss man in der Bilanz der Ampel lange suchen. Im Juli 2022 nahm die neu eingerichtete Antidiskriminierungsstelle des Bundes ihre Arbeit auf. Im Juni 2024 trat das neue Staatsangehörigkeitsgesetz in Kraft. Mit der Reform beendete die Ampel zwar endlich das diskriminierende Doppelpass-Verbot und ermöglichte schnellere Einbürgerungen, erhöhte aber gleichzeitig die Hürden hierfür.

Maßnahmen um die Diskriminierung von Muslimen und Musliminnen entgegenzuwirken lieferte die Ampel nicht. Dabei waren die Voraussetzungen hierfür so gut wie nie. Im Juni 2023 stellte der noch von der der Vorgängerregierung eingesetzte „Unabhängige Expertenkreis Muslimfeindlichkeit“ einen umfassenden, detaillierten und wissenschaftlich fundierten Masterplan für die Gleichberechtigung von Muslimen in Deutschland vor. Doch bis zu ihrem Regierungsende hatte die Bundesregierung keine einzige der dutzenden Handlungsempfehlungen der Expertenkommission umgesetzt. Der 400 Seiten starke Bericht verschwand erst in der Schublade und schließlich im Schredder des Bundesinnenministeriums.

Der 7. Oktober änderte alles

Mit ihrer ausgrenzenden Politik gegenüber Muslimen und Asylsuchenden wäre die Ampel wahrscheinlich dennoch nur als Fußnote in die Geschichte der deutschen Islam- und Migrationspolitik eingegangen. Zu sehr hat man sich schon an die kontinuierlichen Gesetzesverschärfungen und stigmatisierenden Debatten gewöhnt. Wäre da nicht der 7. Oktober 2023.

Der Angriff der Hamas bildete den Startpunkt zu einer in der bundesdeutschen Geschichte beispiellosen Stimmungsmache gegen muslimische und arabischstämmige Menschen, die im öffentlichen Diskurs über alle Parteien hinweg als „Antisemiten“ und „Terror-Sympathisanten“ dargestellt wurden. Die bedingungslose Solidarität mit der rechtsextremen und mörderischen israelischen Regierung wurde begleitet von einem kaum für möglich gehaltenen Ausmaß an Ausgrenzung, Kriminalisierung und Stigmatisierung in Deutschland.

Allen voran auch diesmal: Politiker der Ampel. In einer über die gesamten Parteienlandschaften gefeierten Rede zu „Israel und Antisemitismus“ behauptete Vize-Kanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck am 2. November 2023 erst wahrheitswidrig, muslimische Repräsentanten in Deutschland hätten sich nicht von Hamas und Antisemitismus distanziert und drohte ihnen, sie würden „ihren eigenen Anspruch auf Toleranz zu unterlaufen“.

Razzien gegen muslimische Gemeinden blieben ohne Empörung

Dass das nicht nur eine leere Drohung war, bekamen muslimische Gemeinden unter anderem am 16. November zu spüren. Hunderte Polizisten stürmten über 50 Moscheen und islamische Einrichtungen in Deutschland. Die Bilder von vermummten und schwer bewaffneten Polizisten auf Gebetsteppichen wären in normalen Zeiten Anlass für weitreichende Empörung über den Zustand von Religionsfreiheit und Minderheitenschutz in Deutschland gewesen. Nach dem 7. Oktober schaffte es die größten Razzien gegen Muslime in Deutschland bestenfalls in eine Meldung auf die hinteren Zeitungsseiten.

Als Behörden ein halbes Jahr später am 24. Juli 2024 Hamburgs Imam-Ali-Moschee, eine der ältesten Moscheen des Land und Zentrum des schiitischen Lebens in Deutschlands, beschlagnahmten, widersprach kaum noch jemand öffentlich. So sehr hatte man sich in zweieinhalb Jahren Ampel-Regierung schon an die Grundrechtseinschränkungen gegenüber Muslimen und die Erzählungen von angeblicher islamistischer Unterwanderung gewöhnt.

Repression statt Dialog

Wie selbstverständlich eine Islampolitik- und Migrationspolitik, die allein auf Repression und Abschreckung setzt, unter der Ampel geworden ist, wurde auch bei der Islamkonferenz im November 2023 deutlich. Das einst von Wolfgang Schäuble als Dialogforum ins Leben gerufene Format, wandelte Bundesinnenministerin zu einer Bühne für staatliche Bevormundung und Ausgrenzung.

Ohne Begründung lud sie den Zentralrat der Muslime kurzfristig von der Veranstaltung aus. Auch kein anderer muslimischer Repräsentant durfte sich ans Rednerpult stellen. Statt sich dem ursprünglich angesetzten Thema „Muslimfeindlichkeit“ zu widmen, nutzte die Bundesinnenministerin die Veranstaltung für eine paternalistische Rede, die zum größten Teil selbst aus Muslimfeindlichkeit bestand.

Ein Jahr Staatsräson führte zu mehr Entfremdung als Jahrzehnte Islamdebatten

Die zunehmende Ausgrenzung von Muslimen ist nur ein Aspekt einer autoritären Politik, die kaum noch ein Tabu zu kennen scheint und sich am besten mit einem Wort zusammenfassen lässt: Staatsräson. Im Zusammenhang mit dem Krieg in Nahost forcierte die Ampel-Regierung seit dem 7. Oktober Grundrechtseinschränkungen in einem Ausmaß, dass man mit der Empörung kaum noch hinterherkommt.

Verbote von palästinensischen Symbolen und Slogans, Demoverbote, Absagen (vermeintlich) propalästinensischer Veranstaltungen, von denen auch viele jüdische Kulturschaffende betroffen sind. Das sind nur einige der Maßnahmen, derentwegen Deutschland mittlerweile regelmäßig in den Berichten von Menschenrechtsorganisationen auftaucht. Einschränkungen von Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Rekordzahlen antimuslimischer Straftaten und Diskriminierungsfälle: auch das gehört zur Bilanz von drei Jahren Ampel-Regierung.

Fragt man Angehörige von marginalisierten Gruppen in Deutschland selbst nach ihrer Meinung zur Ampel-Regierung, dann verblasst aber selbst diese beispiellose Diskursverschiebung angesichts des Frusts über das Unrecht, das Israel mit deutscher Hilfe im Nahen Osten begeht. Mit der bedingungslosen Unterstützung eines Krieges, der täglich neue Verbrechen und Massaker produziert und vielen Expertinnen längst als Völkermord gilt, hat die Ampel-Regierung Millionen von Menschen in Deutschland in einem Maß von deutscher Politik und Gesellschaft entfremdet, wie es Jahrzehnte rechter Migrations- und Islamdebatten nicht geschafft haben. Diese Folgen von drei Jahren Ampel wird die deutsche Gesellschaft wohl auch dann noch spüren, wenn Scholz, Habeck, Lindner und Co. längst in Vergessenheit geraten sind.

Das Aufmacherbild zeigt das Werk “Der Einzug Christi in Brüssel” des belgischen Malers James Ensor aus dem Jahr 1889. Zu sehen ist eine Mischung aus Karnevalsumzug, Militärparade und religiöser Prozession (stellvertretend für die drei Ampelparteien), die sich längst von ihren ideellen Ursprüngen (Jesus vs. Menschenrecht, Völkerrecht usw.) losgelöst haben und sich stattdessen Selbstsucht und Ignoranz hingeben (oder so ähnlich).

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