Dass es der Verfassungsschutz bei der Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus gern etwas gemütlicher angehen lässt, ist spätestens seit dem NSU-Skandal eine Binsenweisheit. Aber 17 Jahre Tatenlosigkeit gegenüber einer Website, die täglich Hass auf Musliminnen, Migranten und andere Minderheiten öffentlich ins Netz stellt, ist selbst für eine Behörde mit einem blinden rechten Auge eine stolze Leistung.
Nach 17 Jahren: Verfassungsschutz beobachtet pi-news
Der Spiegel meldete am Donnerstag die Nachricht, auf die Opfer von “Politically Incorrect” teils seit 2004 warten. „Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat den islamfeindlichen Blog “PI-News” unter Beobachtung gestellt.“
Wie keine andere Website dürfte der Blog in der Zwischenzeit Hass gegenüber Muslimen und Musliminnen verbreitet und islamfeindliche Motive und Narrative in Deutschland mehrheitsfähig gemacht haben. Dass dies nach 17 Jahren endlich auch dem Verfassungsschutz auffällt, verrät mehr über die Akzeptanz von Islamfeindlichkeit in der Behörde als über deren Bekämpfung.
wenn Religionsfreiheit am Parkplatz endet
Eine der Spezialitäten von „pi-news“ waren früher Kampagnen gegen Moscheebauten, das seine Reichweite gern rechtsextremen „Bürgerbewegungen“ wie “Pro Köln” oder “Pax Europa” zur Verfügung stellte. Dass diese in den letzten Jahren in der Bedeutungslosigkeit verschwunden sind, liegt einerseits am Aufstieg der AfD, aber auch daran, dass ihr hauptsächlicher Daseinszweck (die Verhinderung von Moscheebauten) längst vom politischen Mainstream übernommen wurde.
Zum Beispiel vom Gemeinderat in Heilbronn. Dort stoppte vergangene Woche ein buntes Bündnis aus Abgeordneten von CDU, FDP, Freien Wählern, AfD und Linken den Plan von muslimischen Bürgern der Stadt, ihre grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit in einem zweckmäßigen Gebäude auszuüben.
Zehn Jahre Planung, hunderttausende Euro Investition, die enge Einbindung von Stadtverwaltung und die Unterstützung des SPD-Bürgermeisters (sowie eines österreichischen Stararchitekten) reichten nicht aus. Am Ende scheiterte der Bau mal wieder an „fehlenden Stellplätzen“. So zumindest die offizielle Begründung.
Dass es in Wahrheit nicht um Parkplätze ging, ist ein so offenes Geheimnis, dass es im Gemeinderat immer wieder unverblümt ausgesprochen wurde: Von „Parallelgesellschaften“ und „Integrationshemnis“ war dort die Rede, von einer „Stadt in der Stadt“ und dem „Einfluss Erdoğans“ auf die Ditib-Gemeinde. Heilbronns Muslime dürfen ihre Religionsfreiheit nun bis auf Weiteres weiterhin in einem überfüllten und recht unansehnlichen 50er-Jahre-Bau ausleben.
endlich aktuelle Zahlen zu muslimischem Leben in Deutschland
In etwa genauso lang wie Heilbronns Muslime auf eine vernünftige Moschee, warten Wissenschaftlerinnen, Politiker und andere Interessierte auf verlässliche empirische Daten über muslimisches Leben in Deutschland. Unklarheit besteht seit Jahren zum Beispiel schon bei der Frage, wie viele Muslime und Musliminnen überhaupt in Deutschland leben.
Die von der Islamkonferenz beauftragte Studie „Muslimisches Leben in Deutschland 2020“ macht der Ungewissheit nun ein Ende (die Antwort: zwischen 5,3 und 5,6 Millionen) und liefert zudem allerlei interessante Fakten, die viele der gängigsten islamfeindlichen Klischees widerlegen. Kurzgefasst: Die muslimische Community in Deutschland ist vielfältiger, besser integriert und selbstbestimmter als es die ständigen Islamdebatten glauben lassen.
So räumt die Studie zum Beispiel mit dem Irrglaube auf, islamische Religionsgemeinshaften verdienten allein deshalb schon keine rechtliche Anerkennung, weil es kaum Muslime gäbe, die sie vertreten.
Die repräsentative Untersuchung hingegen kommt zum Ergebnis, dass 38% der Muslime und Musliminnen sich sehr wohl von einem der islamischen Verbände repräsentiert fühlen. Differenziert man „Muslime“ genauer nach kulturellen Wurzeln oder theologischer Ausrichtung, liegt der Wert noch höher: So fühlen sich zum Beispiel 81% der Ahmadis durch AMJ repräsentiert und 52% der türkeistämmigen Sunniten durch Ditib.
Eine Zusammenfassung der Studie mit vielen weiteren interessanten Fakten gibt es bei der Rheinischen Post.
Diskriminierung in der Schweiz
Auch in der Schweiz ist diese Woche ein Bericht zur Situation von Minderheiten erschienen. Allerdings mit weniger mutmachendem Inhalt. Die Studie „Rassismusvorfälle aus der Beratungsarbeit“ des “Beratungsnetzes für Rassismusopfer” hat Fälle rassistischer Diskriminierung für das Jahr 2020 dokumentiert und ausgewertet und ist dabei vor allem am Arbeitsplatz und in der Nachbarschaft fündig geworden. Eine Zusammenfassung gibt es bei Islamiq.
Diskriminierung in den USA
Eine neue Studie zu Rassismus und Islamfeindlichkeit gibt es auch aus den USA. Der Bericht „Resiliance in the Face of Hate: Civil Rights Report 2021“ vom „Council on American-Islamic Relations (CAIR)“ dokumentiert 6.200 Vorfälle, darunter auch Übergriffe durch Polizisten und Polizistinnen, islamfeindliche Vorfälle an Schulen und Diskriminierungen am Arbeitsplatz.
CAIR zufolge haben Fälle von verbaler rund körperlicher Gewalt in den USA im Jahr 2020 um neun Prozent zugenommen. Und das obwohl Hassverbrechen insgesamt im vergangenen Jahr infolge von Corona um 20 Prozent abgenommen haben. Auch Rassisten bleiben in der Pandemie offenbar lieber zu Hause.
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