Normalerweise geht es in diesem Wochenrückblick um Fälle von Islamfeindlichkeit. Zum Beispiel um Veröffentlichungen, die Anschläge auf Moscheen dokumentieren oder um Berichte über die Ausgrenzung von Musliminnen in der Gesellschaft. Es gibt aber auch Berichte, die bezeugen gerade deshalb ein hohes Maß an Islamfeindlichkeit, weil sie das Phänomen überhaupt nicht thematisieren. Der diese Woche erschienene Bericht des Bundesamts für Verfassungsschutz ist so ein Fall.
394x Islamismus, 1x Islamfeindlichkeit
Während unabhängige Berichte regelmäßig zu dem Ergebnis kommen, dass die Bedrohungslage für Muslime und Musliminnen in Deutschland sehr hoch ist, schweigt sich der am Dienstag vorgestellte Jahresbericht von Deutschlands oberstem Geheimdienst fast völlig über Muslime aus. D.h. über Muslime, die es zu schützen gilt. (Vermeintliche) muslimische Gefahren finden sich in dem Bericht hingegen hundertfach.
An 394 Stellen taucht der Begriff „Islamismus“ (und abgeleitete Begriffe) in dem Bericht auf. Begriffe wie „antimuslimischer Rassismus“, „Muslimfeindlichkeit“, „Islamophobie“ und „Islamfeindlichkeit“ schaffen es gerade einmal auf 5 Nennung.
Schaut man noch genauer hin, geht es nicht einmal dort um die Sicherheit von Musliminnen. An drei Stellen erwähnen die Verfassungsschützer Islamophobie und Islamfeindlichkeit als vermeintliches Opfernarrativ von Islamisten und Anti-Rassistinnen oder als (unberechtigten) Vorwurf durch islamische Organisationen. An einer Stelle taucht die Kritik an „Islamophobie“ als „Einflussnahmestrategie“ türkischer Geheimdienste auf.
Die einzige Stelle, in der es auf 420 Seiten Verfassungsschutzbericht wirklich explizit um Islamfeindlichkeit geht, ist ein zwölfzeiliger Absatz im Kapitel zu Rechtsextremismus.
Expertenkreis zur Ausweitung des Islamismusbegriffs
Die Pressekonferenz zur Vorstellung des Verfassungsschutzberichts nahm Innenminister Horst Seehofer auch zum Anlass einen neuen „Expertenkreis Politischer Islamismus“ vorzustellen. Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang verwies in dem Zusammenhang unter anderem auf die anhaltende Bedrohung durch den IS.
Schaut man sich die Zusammensetzung des Gremiums aber genauer an, scheinen weniger reale dhschihadistische Bedrohungen als die Ausweitung der Islamismus-Definition und die weitere Kriminalisierung muslimischer Religionsausübung das Ziel zu sein.
So sitzen in dem Gremium zum Beispiel Mouhanad Khorchide, der Österreichs umstrittene Islamlandkarte mitzuverantworten hat, Susanne Schröter, die in ihrem Buch „Politischer Islam: Stresstest für Deutschland“ so ziemlich jede islamische Organisation zur islamistischen Bedrohung verklärt und Ruud Koopmans, der erst letzte Woche diese fragwürdigen Studie mitverantwortete.
Die Forderung nach einem Islamismus-Expertenkreis geht übrigens zurück auf ein CDU/CSU-Islamismus-Positionspapier . Das hatte ich hier schon einmal auseinandergenommen.
Wie Neukölln neue Islamisten erfindet
In der Serie „Wenn es zu wenig Islamisten gibt, erfinden wir eben neue“ spielt auch diese Geschichte. Im Berliner Stadtteil Neukölln soll es zukünftig eine „Anlauf- und Dokumentationsstelle gegen konfrontative Religionsbekundung“ geben. Gemeint sind zum Beispiel Kinder, die einander mobben, weil sie kein Schweinefleisch essen oder kein Kopftuch tragen. Wie groß dieses Problem ist, konnte bisher keiner der Verantwortlichen sagen. Auch das scheint eine Konstante solcher Initiativen zu sein (Burka, Kinder-Kopftuch).
Götz Nordbruch, Geschäftsführer des Bildungs- und Präventionsvereins Ufuq schrieb schon im April zu den Plänen, eine solche Anlaufstelle zu schaffen:
So stellt das Ausüben von sozialem Druck („Es ist doch Ramadan – warum fastest Du nicht?!“) durch einen Jugendlichen ohne Zweifel ein problematisches Verhalten dar, es hat aber nichts mit den Gewalttaten des „Islamischen Staates“ zu tun. Gerade in einem solchen Kurzschluss liegt aber eine Gefahr, wenn Lehrkräfte alltägliches Fehlverhalten von Jugendlichen unmittelbar als Hinweis auf eine mögliche Radikalisierung deuten – und schulrechtliche Sanktionen und polizeiliche Maßnahmen einleiten. Für die Prävention entsprechender Verhaltensweisen sind solche Schnellschüsse oft kontraproduktiv.
Einen ausführliche Bericht gibt es von Luise Sammann auf Deutschlandfunk Kultur.
Imam-Ausbildung: Inländische statt ausländische Einflussnahme?
Mit „gut gemeint ist noch lang nicht gut gemacht“ könnte man auch folgende Geschichte überschreiben: In Osnabrück beginnt mit dem Islamkolleg das erste staatlich finanzierte Imam-Ausbildungsprogramm. Politiker fast aller Parteien (abgesehen von der AfD) begrüßen das Projekt als Schritt zu weniger Abhängigkeit vom Ausland (Türkei).
Die Stimmen aus der muslimischen Community sind hingegen zwiegespalten: Während sich die einen darüber freuen, dass es überhaupt mit der Imamausbildung in Deutschland vorangeht (z.B. Zentralrat der Muslime), bemängeln die anderen, dass Moscheevereine mal wieder außen vor bleiben (Ditib).
Reinhard Bingener gibt in der FAZ zu bedenken, dass mit dem Projekt, womöglich die eine staatliche Abhängigkeit gegen die andere eingetauscht wird:
Mit jedem weiteren Schritt geraten die staatlichen Stellen allerdings auf immer heikleres Terrain. Denn statt zu einer klareren Trennung zwischen dem Staat und den Religionsgemeinschaften kommt es im Fall des Islams zu einer immer stärkeren Vermischung. Die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates wird dadurch bis an die Grenze strapaziert.
Einen Bericht zum Thema gibt es von Martin Jarde beim Bayerischen Rundfunk.
Ein Porträt über Islamkolleg-Initiator Bülent Uçar gibt es in der Süddeutschen.
Al-Sisis österreichische Handlanger
Kommen wir zum Ende noch einmal zum Verfassungsschutz – diesmal dem österreichischen. Um Österreichs vermeintlichen Kampf gegen vermeintliche Muslimbrüder und die Nähe österreichischer Politiker und Beamter zum diktatorischen Regime Ägyptens ging es schon häufiger in diesem Wochenrückblick. Nun kommt Kritik sogar aus dem “Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung“ (BVT) selbst.
Nach einem Bericht von Die Presse (ohne Paywall im Standard) haben BVT-Beamte Anzeige gegen ihre früheren Vorgesetzten erstattet. Der Vorwurf: Diese hätten nur aus politischen Gründen (Nähe zum ägyptische Regime) riesige Ressourcen auf die Bekämpfung der Muslimbruderschaft aufgewendet. Das Bundesamt für Korruptionsbekämpfung ermittle bereits in der Sache.
Bleibt abzuwarten, ob die Paktiererei österreichischer Politiker und Beamter mit einer der blutigsten Diktaturen unserer Zeit auch irgendwann einmal in einem Verfassungsschutzbericht erwähnt wird.
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