Wie Österreichs Serviceangebot für Neonazis scheiterte, eine SPD-Stadtverwaltung die Ausbildung deutscher Imame verhindert und was man bekommt, wenn man Houellebecq auf Wish bestellt.
Irgendwann auf dem Höhepunkt der sogenannten „Flüchtlingskrise“ im Jahr 2015 war es, da kam eine kleine Gruppe deutscher Neonazis auf die Idee, die zunehmende Nachfrage nach angreifbaren Flüchtlingsunterkünften mit einem eigenen Serviceangebot zu unterstützen. Das Ergebnis: eine Karte über „Asylantenheime in der Nachbarschaft“.
Es folgte eine Welle der Empörung: nicht gegen die Flüchtlinge, sondern die rechten Aktivisten. Und so plötzlich wie sie gekommen war, verschwand die Karte wieder aus dem Netz. Vergangene Woche wiederholte sich die Geschichte. Nur diesmal trug nicht irgendeine obskure Neonazi-Gruppe die Verantwortung für die öffentliche Brandmarkung, sondern die Bundesregierung Österreichs.
Generalverdacht mit Standortdaten
Mit einem gesellschaftlichen Generalverdacht gegenüber Musliminnen habe Österreichs Islamlandkarte freilich nichts zu tun, versicherte Österreichs Integrationsministerin Susanne Raab, als sie das Projekt am Donnerstag, dem 27. Mai, vorstellte. Doch genau diesen Eindruck vermittelt so ziemlich jeder Aspekt der Karte:
- Die Karte umfasst nicht nur Standorte, die nach Vorstellung der Regierung irgendwie problematisch sein könnten, sondern alle 623 muslimischen Einrichtungen in Österreich.
- Sie enthält genaue Adressen und Namen…
- aber sehr ungenaue, veraltetet und wissenschaftlich fragwürdige Beschreibungen.
- Sie versieht die Einrichtungen mit stigmatisierenden Labels wie “islamistisch”, “türkeinah” oder “nationalistisch”.
- Die Daten wurden ohne Zustimmung der Betroffenen online gestellt.
- Das ganze Projekt wird verantwortet von einem Institut, das vorgibt “religiös motivierten politischen Extremismus” dokumentieren zu wollen.
Was außerdem problematisch an der Islamlandkarte, hat Politikwissenschaftler Rami Ali hier aufgeschrieben.
Freude bei Neonazis, Kritik von allen anderen
Es kam, was kommen musste: Nur wenige Tage nach Online-Stellung machten sich Österreichs Neonazis das Serviceangebot der Bundesregierung zu Nutze und hängten stigmatisierende Schilder in der Nähe der muslimischen Einrichtungen auf.
Kurz darauf ging die Islamlandkarte schon wieder offline. Offiziell wegen technischer Probleme. Der Verdacht liegt aber nahe, dass das vorläufige Ende des Projekts auch etwas mit der Welle an Kritik zu tun haben könnte, der sich die Verantwortlichen ausgesetzt sahen. Hier eine völlig unvollständige Auflistung, wer sich alles über die Karte empörte:
- der Europarat
- Österreichs Bischhofskonferenz
- die Evangelische Kirche in Österreich
- die Uni Wien
- die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich IGGÖ
- die Muslimische Jugend Österreich MJÖ
- der Präsident der Konferenz der Europäischen Rabbiner und Oberrabbiner von Moskau
- PolitikerInnen von Grünen, Neos und SPÖ
- zahllose Journalistinnen und Wissenschaftler
Oder wie der Theologe, „Islamkritiker“ und Mitverantwortliche für die Islamlandkarte die Kritiker zusammenfasst: “Vertreter des Politischen Islam”.
Mit Baurecht gegen Religionsfreiheit
Einen Vorteil haben die in der Islamlandkarte verzeichneten Einrichtungen zumindest: Sie existieren. Die meisten muslimischen Einrichtungen scheitern hingegen schon bei der Planung: an Kommunalpolitkerinnen, Gemeinderäten und Baubehörden.
Ein aktueller solcher Fall spielt in Gelsenkirchen. Dort bemüht sich ein Moscheeverein seit 2015 in einem eigenen Gebäude eigene Imame auszubilden. Genau das fordern bekanntlich auch deutsche Politiker bei jeder sich bietenden Gelegenheit – nur um die praktische Umsetzung bei anderer Gelegenheit verlässlich zu verhindern.
Michael Voregger hat für die taz aufgeschrieben, wie die SPD-geführte Stadtverwaltung von Gelsenkirchen verhindert, dass in ihrer Stadt Imame ausgebildet werden.
Wenn man Michel Houellebecq auf Wish bestellt
Eigentlich wollte ich folgenden Satz nie wieder schreiben: Constantin Schreiber hat ein neues Buch veröffentlicht. Aber es geht nicht anders. Zum einen, weil der Tagesschau-Sprecher mit seinem Roman derzeit durch alle Talkshows tingelt. Zum anderen weil ich euch diesen lesenswerten Verriss nicht vorenthalten will. Unter der Überschrift „Literarischer Trumpismus“ schreibt Peter Hintz:
Vor allem nutzt der Text die Möglichkeiten des literarischen Erzählens, um aus dem Ressentiment kurzweilige Unterhaltung zu schöpfen, auch wenn das nicht durch plausible Handlungsbögen, sondern durch eine Aneinanderreihung drastischer Karikaturen passiert. Es ist gerade die aktuelle Phase des scheinbaren Posttrumpismus, die solche Narrative der unterdrückten Mehrheit befeuert und den ehemals journalistischen Büchern Schreibers eine neue Dimension gibt.
Etwas kürzer und prägnanter hat Sophie Passmann Constantin Schreibers Roman auf Twitter zusammengefasst:
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