Wenn es überhaupt noch eines Beweises bedurfte, dass Deutsche wirklich keine Gelegenheit für “Ausländer Raus”-Forderungen verpassen, wurde er diese Woche erbracht. Ging es eben noch um den Krieg in Nahost, sind die Zeitungsseiten und politischen Reden nur Stunden später schon wieder gefüllt mit Abschiebeforderungen und Gerede vom “importiertem Antisemitismus”.
Und das wohlgemerkt in Deutschland! Dem Land von Luther, Pogromen und Holocaust. Dem Land, in dem dutzende Juden und Jüdinnen ihr Überleben vor gerade einmal anderthalb Jahren einzig der Stabilität einer Holztür zu verdanken hatten. Dem Land, in dem selbst ein Ex-Verfassungsschutzchef antisemitische Verschwörungen verbreitet und Kirchengemeinden ihre “Judensau” als schützenswertes Kulturgut verteidigen. Dem Land, in dem vor gerade einmal einer Woche einmal mehr bekannt geben wurde, dass 95% aller antisemitischen Straftaten von Rechtextremen begangen werden.
Krise der Nahostberichterstattung
Eine typisch deutsche Mischung aus Rassismus und Realitätsverweigerung ist es auch, mit der sich am besten die Berichterstattung über den Krieg in Israel und Palästina erklären lässt. Leider habe ich viel zu wenig Zeit und Nerven, um mich an dieser Stelle über alle Fälle von Entmenschlichung und Geschichtsvergessenheit in der Nahostberichterstattung aufzuregen. Deshalb gibt es stattdessen eine kleine Leseliste zum Thema:
- In DIE ZEIT erinnert Andrea Backhaus daran, dass auch Palästinenser Menschen sind.
- Für die FAZ hat Meron Mendel etwas über deutsche Israel-Solidarität geschrieben, die sich mehr um Symbole und eigene Befindlichkeiten als um das Schicksal der Menschen vor Ort schert.
- Von der irreführenden medialen Gleichsetzung von Besatzern und Besetzten handelt dieser Beitrag.
- Über die Entpolitisierung der Nahostberichterstattung habe ich selbst einmal hier etwas gebloggt.
- Und hier etwas über den Mythos palästinensischer Verhandlungsverweigerung.
- Und wer gar keine Ahnung hat, wovon ich hier eigentlich schreibe, bekommt hier eine Schnellkurs von Nahost-Prof Helga Baumgarten.
Wann deutsche Medien über Terror berichten und wann nicht
Der Umstand, dass deutsche Medien sich nicht einmal dann empören, wenn in Gaza 23 Büros und Redaktionen ihrer Kollegen weggebombt werden, zeigt auch: Über welche Verbrechen Medien auf welche Weise berichten, hängt häufig weniger vom Ausmaß der Tat als von der Identität des Täters ab.
Zu diesem Ergebnis kommt auch eine wissenschaftliche Studie, die vergangenen Donnerstag veröffentlicht wurde. Die Untersuchung “What is terrorism (according to the news)? How the German press selectively labels political violence as “terrorism” fand heraus: Deutsche Medien berichten vor allem dann über Terrorismus, wenn dieser von Muslimen ausgeht.
Dazu hat die Kommunikationswissenschaftlerin Valerie Hase Nachrichten aus Der Spiegel, Focus, Süddeutsche Zeitung, Die Welt und Die Zeit im Zeitraum von 2012 bis 2018 untersucht. Ihr Fazit:
Insgesamt entscheiden Journalisten sehr selektiv, welche Formen politischer Gewalt als„ Terrorismus “berichtet werden: In den Nachrichten wird Terrorismus weitgehend als Bedrohung durch “islamistische Extremisten “gegen westliche Bürger dargestellt.
Ein bisschen Islamunterricht in NRW
Eine Nachricht, die ohne den Krieg in Nahost, sicherlich für mehr Aufregung gesorgt hätte, betrifft den islamischen Religionsunterricht in Nordrhein Westfalen. Dieser soll neu organisiert werden, gab die FDP-Bildungsministerin Yvonne Gebauer am Montag bekannt. Anstatt islamischen Vertretern nur über einen Beirat Mitsprache zu gewähren, sollen sechs islamische Organisationen nun über eine neugebildete Kommission über Unterrichtsinhalte mit entscheiden können.
Für Überraschung bei vielen Islamkritikern sorgte, dass der Kommission auch Ditib angehören soll. Was die Repräsentation von Muslimen in NRW angeht, ist das allerdings nur folgegerichtig: Schließĺich ist der Großteil der Moscheen in NRW in dem islamischen Dachverband organisiert. Nicht mehr dabei ist hingegen der Zentralrat der Muslime. Den Grund für die Entscheidung gab das Bildungsministerium nicht bekannt. (Mehr Infos gibt’s bei Islamiq). Freude gab’s am rechten Rand.
Auch wenn islamische Vertreterinnen über die Kommission nun mehr Einfluss haben könnten: An die Vorgaben des Grundgesetz dürfte auch das neue Modell nicht heranreichen. Dieses sieht vor, dass bekenntnisorientierter Religionsunterricht in alleiniger Verantwortung der Religionsgemeinschaften liegt. Was für Mitgliederinnern christlichen Konfessionen Normalität ist, wird Muslimen fast überall in Deutschland nach wie vor verwehrt.
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