Angriffe auf muslimisches Gemeindeleben beginnen nicht erst mit rassistischen Graffiti und abgetrennten Schweineköpfen. Vielerorts nutzen Beamtinnen und Politiker das Baurecht um Muslimen ihre Grundrechte zu verwehren.
Zehn Jahre und hunderttausende Euro hatten Heilbronns Muslime in die Planung ihrer neuen Moschee gesteckt. Auf allzu dominante islamische Symbolik wollten sie verzichten, stattdessen hatte sie einen österreichischen Stararchitekten mit ins Boot geholt. Von Anfang an hatte sich die Gemeinde eng mit der Stadtverwaltung abgestimmt, alle Nachweise erbracht, die Verträge längst unterschrieben. Doch es nützte nichts.
Am Ende scheiterte der Moscheebau an der Mehrheit von CDU, FDP, Freien Wählern, AfD und Linken im Gemeinderat. An vermeintlicher Parkplatzknappheit. Vor allem aber an islamfeindlichen Vorurteilen, die auch keinen Halt vor Politikerinnen und Behörden machen.
Von der aussichtslosen Suche nach Grundstücken bis zu endlosen Auflagen durch Baubehörden
Denkt man an Angriffe auf muslimisches Gemeindeleben in Deutschland, dürften den meisten Menschen Brandsätze und rassistische Graffiti, eingeworfene Scheiben und abgetrennte Schweineköpfe in den Sinn kommen. Doch rechte Schläger und wütende Demonstrantinnen sind nicht die einzigen, die es Muslimen hierzulande schwer machen. Vielerorts geht die Bedrohung für muslimische Religionsfreiheit auch von Kommunalpolitikerinnen, Stadträten und Verwaltungsbeamtinnen aus.
„Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“ So steht es im Grundgesetz. In der Praxis können die Vertreter von so ziemlich jeder islamischen Gemeinde in der Bundesrepublik allerdings über zahllose Störungen berichten: angefangen bei der fast aussichtslosen Suche nach Räumen und Grundstücken für die Betenden über die Instrumentalisierung im Kommunalwahlkampf, bis zu endlosen Auflagen durch Baubehörden.
Überall im Land wissen Politikerinnen und Beamte, wie sie das hohe Lied der Religionsfreiheit in den Paragraphentiefen des deutschen Baurechts zum Verstummen bringen können: Zu wenige Parkmöglichkeiten im Viertel? Zu viele Hamster auf dem Acker? Verbietet der Bebauungsplan für das Gewerbegebiet nicht ohnehin die Errichtung religiöser Gebäude? Könnte das Minarett die Silhouette der Neubausiedlung stören? Oder der Gebetslärm die Idylle an der Bundesstraße? Die meisten Moscheebauprojekte scheitern schon lange bevor der erste Schweinekopf abgelegt und das erste rassistische Graffiti gesprüht werden kann.
Um Parkplätze geht es in Wirklichkeit so gut wie nie
Auch in Heilbronn zogen Gemeinderäte zehn Jahre nach Beginn der Planung jene Notbremse, mit der sich in dicht bebauten Innenstädten so ziemlich jedes Bauvorhaben verhindern lässt: Mit fehlenden Stellplätzen begründeten Abgeordnete ihre Ablehnung des Projekts.
Dass es in Wahrheit nie um Parkplätze ging, ist ein so offenes Geheimnis, dass es im Gemeinderat immer wieder unverblümt ausgesprochen wurde: Von „Parallelgesellschaften“ und „Integrationshemnis“ war dort die Rede, von einer „Stadt in der Stadt“ und dem „Einfluss Erdoğans“ auf die Ditib-Gemeinde.
Solche Befürchtungen mögen in einer allgemeinen politischen Debatte noch legitim klingen; sie finden aber spätestens dann ihr Grenzen, wenn sie systematisch genutzt werden, um die Ausübung religiöser Grundrechte zu sabotieren. Zum Glück kennt das Grundgesetz keine Einschränkung der Religionsfreiheit aufgrund von finanziellen Abhängigkeiten vom oder politischen Verbindungen zum Ausland. Andernfalls müssten die 25.000 Ableger der römisch-katholischen Kirche in Deutschland wohl um ihre Existenz fürchten. Aber von der Nähe von Millionen Katholiken zu einem ausländischen Staatsoberhaupt hört man in deutschen Gemeinderäten zurecht genauso wenig von der Putin-Nähe manch eines russisch-orthodoxen Gemeindevorstands.
Auch diese Analogie führt noch in die Irre: Denn die allermeisten Moscheebauten in Deutschland finanzieren sich allein aus Spenden ihrer Mitglieder. Auch in Heilbronn war das so geplant. Unterstützung von Behörden und Politik bekommen Muslime für ihre oftmals bewusst gewählte Unabhängigkeit allerdings nicht. Im Gegenteil: Sondergenehmigungen, Änderung von Bebauungsplänen, Fördergelder – Begriffe, die im Kontext anderer Kultureinrichtungen selbstverständlich fallen, sind den meisten muslimischen Bauherren fremd. Stattdessen trifft stets die volle Wucht behördlicher Auflagen.
“Irreparabler Schaden gegenüber einem Teil unserer Mitbürger”
In Heilbronn war die politische Motivation der Abgeordneten so offensichtlich, dass sich sogar der ehemalige Chef des städtischen Hochbauamt berufen fühlte, in einem offenen Brief die Rechtmäßigkeit des Beschlusses infragezustellen und der Moscheegemeinde zu raten, seinen ehemaligen Arbeitgeber, die Stadt Heilbronn, zu verklagen. Auch der Architekt des Projekts Matthias Müller klagte im Anschluss über die “tiefen Wurzeln zur Diskriminierung” und einen “irreparabler Schaden gegenüber einem Teil unserer Mitbürger”.
Welche Schäden sie für real existierende Menschen verursachen, wenn sie im Stadtrat Kulturkampf spielen, interessiert viele Kommunalpolitikerinnen allerdings wenig. Die meisten organisierten Muslime und Musliminnen in Deutschland sind weder mit Islamisierung oder türkischer Expansionspolitik beschäftigt, sie haben schon genug damit zu tun, in Ruhe und Sicherheit ihr Gemeindeleben auszuüben.
In Deutschland gibt es nicht zu viele Moscheen, sondern Hunderte zu wenig
Es gibt es kaum ein eindrucksvolleres Beispiel für die Diskrepanz zwischen Überfremdungsparanoia und muslimischer Realität als die bauliche Ausstattung hiesigen islamischen Gemeindelebens. Gemessen am Bedarf gibt es in Deutschland nicht zu viele islamische Religionsstätten, sondern Hunderte zu wenig.
Nach Jahrzehnten vermeintlicher „Islamisierung“ steht beispielsweise in allen fünf neuen Bundesländern immer noch keine einzige repräsentative Moschee. Nicht nur in Heilbronn, überall in Deutschland, sehen sich Moscheebauvorhaben großem politischen und behördlichen Widerständen gegenüber. Egal wie beengt und unwürdig die Räume sind, in denen sich Musliminnen bisher zum Gebet treffen.
Die real existierende muslimische Religionsfreiheit in Deutschland spielt sich nicht unter prächtigen Minaretten und Kuppeln in Innenstädten, sondern in umfunktionierten Büroräumen, überfüllten Privatwohnungen und Gewerbegebieten ab. Und selbst dort werden sie regelmäßig zum Angriffsziel von rechten Gewalttätern und anderen Islamhassern, sich durch stigmatisierende Debatten in Gemeinderäten und die Verachtung von Politikerinnen und Behördenvertretern gegenüber der Religionsfreiheit von Muslimen berufen fühlen, den vermeintlichen Volkswillen mit Gewalt umzusetzen.
[Das Aufmacherbild zeigt eines der wenigen islamisch anmutenden Gebäude in der Geschichte Heilbronns: Die 1877 fertiggestellte Synagoge wurde in der Pogromnacht vom 9. November 1938 zerstört.]
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